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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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dachte sich Prieß und wippte ein wenig mit seinem klobigen Bürosessel, eine schöne Stange Geld. Jetzt muss ich nur noch sehen, was ich damit anfange.
    Das Vernünftigste wäre es sicher gewesen, das Büro von Grund auf renovieren und neu einrichten zu lassen. Die Räume befanden sich im obersten Stockwerk des beeindruckenden Kontorhauses in der Mönckebergstraße 11, direkt unterhalb des Dachbodens. Es war nicht schwer gewesen, sie zu mieten, denn die Nachfrage war trotz der guten Lage an Hamburgs wichtigster Geschäftsstraße nicht groß: Der Fahrstuhl führte nicht bis zu dieser Etage, und keine seriöse Firma hätte ihren Kunden zumuten wollen, das letzte Stück die unbequeme Treppe hinaufsteigen zu müssen. Trotz dieses Mankos war die Miete, zumindest für Prieß’ Verhältnisse, immer noch exorbitant; aber die noble Adresse auf den Visitenkarten und im Telefonbuch war es ihm wert, einige Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Wegen der Kosten für seine Geschäftsräume fehlte ihm für eine Wohnung, selbst eine billige in einer der heruntergekommenen Mietskasernen in Dulsberg, das Geld. Also begnügte er sich mit dem Hinterzimmer seines Büros, in dem er sich einigermaßen wohnlich eingerichtet hatte. Es war zwar weder geräumig noch komfortabel, doch dafür wohnte er so zentral wie nur wenige Hamburger.
    Der ständige Mangel an finanziellen Mitteln schlug sich natürlich auch in der Einrichtung nieder. Kaum etwas war neu, fast alles trug mehr oder weniger deutliche Gebrauchsspuren. Das galt für die drei hohen Aktenschränke, deren scheußlicher stumpfgrüner Lack schon übel zerschrammt war, genauso wie für den sperrigen alten Schreibtisch aus dunklem Holz, das ihn gut doppelt so schwer erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. Genau genommen gab es in diesem Büro nur zwei Dinge, die nicht alt und abgenutzt waren: zum einen das glänzend schwarze Bakelit-Telefon auf dem Tisch, das ein Techniker der Reichspost erst zwei Wochen zuvor als Ersatz für den defekten vorherigen Apparat installiert hatte; zum anderen das gerahmte offizielle Porträtfoto des jungen Kaisers Wilhelm V., das erst seit gut einem Jahr an der Wand gegenüber der Fenster hing. Es war nicht gerade billig gewesen, aber die Erfahrung hatte Friedrich Prieß gezeigt, dass es auf potentielle Klienten Vertrauen einflößend wirkte, wenn sie hier das Bild des Monarchen vorfanden. Als der Großvater im letzten März verstorben war und der Enkel den deutschen Thron bestieg, hatte Prieß daher den Kauf eines neuen Kaiserbildes als notwendige Investition in sein Geschäft angesehen. Außerdem hatte er den Rahmen des alten Fotos wiederverwenden können.
    Mit dem frisch verdienten Geld dieses Büro ein wenig aufzupolieren war also ein sehr vernünftiger Gedanke. Umso schneller schob Prieß ihn beiseite. Ihm gefiel der Raum so, wie er war; diese verbrauchte Schäbigkeit war seine Referenz an die Privatdetektive aus den amerikanischen Kriminalfilmen, die auch immer in einer solchen Umgebung dargestellt wurden. Er fühlte sich den billigen Schnüfflern aus den düsteren Detektivromanen Raymond Chandlers und Stephen Kings innerlich verbunden, und wenn für seine Vorbilder aus Film und Literatur ein solches Ambiente angemessen war, dann schien es ihm auch für sich selber passend. Ganz abgesehen davon, dass sich für 2500 Goldmark weitaus reizvollere Verwendungszwecke finden ließen, als damit Tapeten zu kaufen. Im Parterre des Geschäftshauses befand sich eine Dependance des Reisebüros Heinrich Kissinger & Cie., und jeden Tag sah Friedrich Prieß dort im Schaufenster das großformatige, farbenprächtige Plakat, mit dem die Deutsche Luftschiffahrts-AG für ihre Vergnügungsfahrten nach Südamerika warb. Es zeigte einen strahlend weißen DELAG-Kreuzfahrtzeppelin, der gerade über den Zuckerhut hinwegschwebte und auf Rio de Janeiro zuhielt, das mit den langen Stränden, dem glitzernden Ozean und dem hell schimmernden Häusermeer tief unter ihm lag. Brasilien! Brasilien, das Land des ewigen Sommers. Wo ständig die süßlichen Düfte tropischer Blumen in der warmen Luft lagen und wo exotisch schöne Frauen mit endlos langen schwarzen Haaren aufregende zweiteilige Badeanzüge trugen …
    Prieß seufzte, ohne es zu merken. Wann hatte er zum letzten Mal Urlaub gemacht? Er versuchte, sich zu erinnern. Es musste jetzt gut acht Jahre her sein, und es war furchtbar gewesen. Eine Woche in Cuxhaven, wo der Strand angefüllt war mit biederen Familien aus Bremen und
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