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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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aufgefallen?«
    Der Gendarm zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Ich weiß ja nicht einmal, wer er war oder wie er aussah. Ich habe ihn nur mit dem Gesicht im Schlamm gesehen und konnte ihn ja schlecht einfach umdrehen. Aber ich gebe zu«, sagte er grinsend, »neugierig war ich schon. Als ich telefoniert hatte, bin ich wieder zur Leiche zurück. Ich musste ja schließlich aufpassen. Und während ich da gestanden und gewartet habe, hat’s mich schon ein bisschen gereizt, mir mal das Gesicht anzuschauen. Selbstverständlich«, fügte er rasch hinzu, um jeden Zweifel an seinem Pflichtbewusstsein gleich im Ansatz zu zerstreuen, »habe ich es aber nicht getan. Und es dauerte ja auch nicht lange, bis ein Spurensicherungs-Kommando aus Lübeck kam.«
    Prieß stutzte. »Aus Lübeck? Warum denn nicht aus Ratzeburg? Der Tote lag doch auf preußischem Gebiet, wenn ich recht verstanden habe.«
    »Ach, das hat schon seine Richtigkeit. Sehen Sie, in Ratzeburg gibt es keine Kriminalpolizei, nicht einmal in Mölln. Zuständig ist die Polizeidirektion Kiel. Es dauert natürlich eine ganze Weile, bis die Spezialisten aus Kiel hier sind, etwa vier Stunden. Es gibt da eine Art inoffizielles Abkommen zur Amtshilfe. Die Lübecker Polizei sichert den Tatort, hält Spuren und Hinweise fest und macht eben alles, was keinen Aufschub duldet, bis die Leute aus Kiel eintreffen und die Sache übernehmen. Das System bewährt sich schon seit Jahrzehnten. Na ja, zugegeben, oft ist das nicht nötig. Hier geschieht eben nicht viel, normalerweise besteht meine Arbeit darin, Zigeuner aus dem Ort zu weisen, bevor sie Hühner stehlen können. Und am Wochenende muss ich manchmal einen der Knechte in die Zelle stecken, wenn er im Krug einen über den Durst getrunken hat und danach laut geworden ist. Aber wenn dann doch mal was Ernstes vorfällt« – er leerte sein Glas und füllte es sofort wieder mit Korn aus der Flasche auf –, »hat die Zusammenarbeit mit den Lübecker Kollegen bisher immer bestens funktioniert.«
    Danach zog sich das Gespräch mit Wachtmeister Uhlenhorst noch eine gute Stunde hin, ohne dass Prieß noch wesentlich Neues erfahren hätte. Als er dann schließlich den Gendarmerieposten verließ, kroch bereits die Dämmerung über Groß Grönau. Auf der Rückfahrt zu dem kleinen Lübecker Hotel, wo Prieß sich einquartiert hatte, kurbelte er das Seitenfenster des Autos vollständig herunter, denn die beiden Gläser Korn machten sich sehr unangenehm bemerkbar. Die kühle Abendluft verscheuchte zwar den übelsten Druck aus seinen Schläfen, aber er war dennoch froh, als er den Wagen endlich auf den Hof des Gasthofs Adlershorst gelenkt hatte und das nervtötende Motorengeräusch verstummt war.
    In der Gaststube holte er sich schnell den Schlüssel vom Wirt ab und beeilte sich dann, in sein Zimmer zu kommen. Nachdem er sich ausgezogen und flüchtig die Zähne geputzt hatte, fiel er erleichtert ins Bett. Fast augenblicklich schlief er ein, nachdem er in einer letzten Regung seines Hirns noch den Gendarmen und dessen Höllenschnaps zum Teufel gewünscht hatte.
        
     

Donnerstag, 19. Mai
     
    Am folgenden Morgen riss ein bohrendes Brummen Friedrich Prieß in aller Frühe aus dem Schlaf. Nach einigen endlos scheinenden Sekunden der Orientierungslosigkeit erkannte er, dass das vibrierende Geräusch seinen Ursprung nicht in seinem eigenen Schädel hatte, sondern von draußen durch das Fenster ins Zimmer drang. Immer noch leicht benommen, stand er aus dem Bett auf, schlurfte durch den Raum, öffnete das Fenster und blickte hinaus auf der Suche nach der Quelle des ärgerlichen Dröhnens.
    Zu seiner Überraschung sah er, dass in nicht einmal hundert Metern Höhe der längliche, leicht bauchige Körper eines Zeppelins über das Hotel hinwegzog. Der monotone Klang seiner vier Motoren, von dem der Detektiv aufgewacht war, erfüllte die klare Morgenluft. Auf dem silbrig glänzenden Rumpf prangte unübersehbar das Eiserne Kreuz, das ihn als Militärluftschiff auswies. Und als nach einigem Blinzeln der trübe Schleier der Nacht von Prieß’ Augen verschwunden war, konnte er auch den in großen Buchstaben aufgemalten Namen des Luftschiffes ausmachen: Kronprinzessin Sophie Viktoria.
    Prieß wollte es zuerst kaum glauben. Herrgott, die fliegt immer noch? Dabei war die ja schon damals nicht mehr die Jüngste … Wie lange ist das jetzt eigentlich her? Zwanzig Jahre? Ja, zwanzig Jahre …
    Das Luftschiff verschwand aus Prieß’
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