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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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sagte Vyves. »Es ist mir nicht angenehm, Eure Hilfe anzunehmen.«
    »Das ginge mir nicht anders, und ich hätte es Euch gern erspart«, erwiderte Matthew. »Leider fehlt uns dazu die Zeit. Der Schiffer hofft, im Morgengrauen abzulegen, und bis Yarmouth ist es, wenn Ihr nicht reiten wollt, noch ein gutes Stück Weg.«
    Amicia sah Vyves nicken und spürte, wie er sich sachte aus ihren Armen befreite. Vyves. Ihr Freund, Ihr Herzensgeliebter. Der Einzige, der Abel gekannt hatte.
    Euer heutiges Versprechen ist bindend.
    »Halt!«, schrie sie, fuhr herum und bot Matthew die Stirn. »Das denkst du dir aus!«, schrie sie. »Du willst, dass ich nach allem auch noch Vyves verliere, dass Vyves fortgeht und ich auf der Welt allein bin!« Mehr Kraft hatte sie nicht. Ihr Schreien ging in Weinen über.
    »Nein«, sagte Matthew weich. Sein Blick schien sich zu winden, als mache es ihn verlegen, sie anzusehen. Mit einem entschlossenen Griff riss er sich den vom Kampf zerfetzten Mantel von der Schulter und hielt ihn ihr entgegen. Als sie keine Anstalten machte, danach zu greifen, nahm ihn Vyves und legte ihn ihr mit abgewandtem Blick vor die Brust. Entgeistert bemerkte sie, dass das zerrissene Kleid sich geöffnet hatte und alles preisgab, was es hätte verhüllen sollen. Eilig schlang sie sich in den Mantel und spürte die Wärme auf der Haut.
    »Nein«, wiederholte Matthew noch einmal und bedeutete Stephen mit einem Wink, Amicias gesatteltes Pferd heranzuführen. »Ich will nicht, dass du Vyves verlierst und allein auf der Welt bist, Amicia. Ich will, dass du mit ihm gehst.«

40
    S
ie war neben dem Karren, auf dem Vyves mit ihrem bisschen Gepäck saß, nach Yarmouth geritten wie zuvor auf der langen Reise von Fountains nach Carisbrooke. Stephen hatte sie auf Althaimenes geleitet, und der namenlose Hund sprang ihnen fröhlich voraus.
    Weil die Insel hügelig und in Teilen unwegsam war, mussten sie immer wieder einen Umweg einschlagen, und noch ehe sie den kleinen Hafen erreichten, ging die Sonne auf. Amicia war es recht. In der sich allmählich lichtenden Finsternis blickte sie um sich und versuchte, Abschied zu nehmen, sich vorzustellen, dass sie all dies nicht wiedersehen würde. Es war unmöglich. Die Vorstellung war zu groß für ihren müden Kopf.
    Aber was für eine Rolle spielte das? Sie war bei Vyves, sie ging, um Vyves zu begleiten. Sie würde ihn nicht noch einmal im Stich lassen, und auf irgendeine Weise würden sie einen Weg finden weiterzuleben.
    Im Hafen von Yarmouth trennten sie sich. Stephen und Vyves gingen, um dem Schiffer die Papiere auszuhändigen, die Matthew ihnen gegeben hatte. Amicia sollte im Zollhaus warten, weil sie am ganzen Körper vor Kälte zitterte. Einer der Beamten brachte ihr einen Becher mit Torfkohle gewärmtes Ale, das widerlich schmeckte, aber ein wenig stärkte. Bis die Formalitäten erledigt waren, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Viel zu viel Zeit für Gedanken, die sinnlos waren.
    Endlich kehrte Vyves zu ihr zurück. Auf seinem Gesicht stand ein Lächeln. »Komm«, sagte er.
    »Ich will mich noch von Stephen verabschieden!«, rief Amicia.
    Entschlossen, wie sie es nicht von ihm kannte, packte Vyves ihre Hand und zog sie ins Freie. Die Sonne eines Frühlingsmorgens prallte ihr entgegen und setzte dem Meer Glanzlichter auf. Das Schiff, das sie von der Insel fortbringen sollte, zappelte an seinem Tau und tanzte auf den Wellen. Vyves schloss die Arme um Amicia und küsste sie auf den Mund. »Gott behüte dich«, sagte er noch immer lächelnd. »Und lass es uns kurz machen, ja? Du verabschiedest dich nicht von Stephen. Sondern von mir.«
    Sie durchschaute sofort, was er vorhatte: Er würde sie fortschicken, in die Einsamkeit, in der sie mit all ihrem Wissen würde leben müssen. »Nein«, rief sie und krallte sich in seinen Ärmel. »Ich habe dich so lieb, Vyves. Ich will deine Frau sein, deinen Glauben annehmen, mit dir leben – ganz so, wie wir es uns im Brunnenhof von Carisbrooke versprochen haben.«
    »Wir haben es uns andersherum versprochen, Amicia. Und das Versprechen von damals ist hiermit gelöst.«
    »Aber ich will es nicht lösen!«
    »Dann will eben ich es«, erwiderte er, griff in die Falte, die sie in ihren Rock genäht hatte, zog Adams Bernstein mit der Spinne heraus und warf ihn aufs Meer. »Ich danke dir für deinen Mut und dein Angebot, mein Liebes, doch um es anzunehmen, bin ich zu stolz. Ich muss jetzt dasselbe tun wie du: lernen loszulassen. Aufgeben, an was wir uns
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