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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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geklammert haben, weil es das einzige heile Stück unserer Kindheit war. Wenn ich es nicht tue, werde ich niemals jemanden finden, der mich als Mann, nicht als netten Jungen lieben kann.«
    Der Widerspruch blieb Amicia im Hals stecken, weil unleugbar war, dass er recht hatte. Er hätte alles verdient, was sie zu geben hatte, aber es nützte nichts. Was ihm wie jedem Mann zustand, konnte sie ihm nicht schenken, denn sie hatte es einem anderen geschenkt. Seine Entscheidung auszuhalten war unsagbar schwer. Abschied von Vyves zu nehmen bedeutete auch Abschied von Abel. Und von Carisbrooke. Tränen kamen ihr. »Du kannst mich doch nicht alleinlassen«, entfuhr es ihr, und sie schämte sich dafür.
    »Du bist nicht allein, und du weißt es.« Er befreite sich aus ihrem Griff und strich ihr über den Arm. »Geh zu ihm. Bestelle ihm in meinem Namen den Dank, zu dem ich gestern Nacht nicht fähig war. Und dann sammelt die Trümmer auf, und baut euch ein Leben daraus. Stark genug seid ihr, und das eine hat Adam de Stratton wenigstens für dich getan: Er hat den Weg dafür frei gemacht.«
    »Wird er hingerichtet werden, Vyves?«
    »Wahrscheinlich«, erwiderte er. »Ich denke, er ist dafür bereit. Jetzt beeil dich. Ich muss aufs Schiff, und der Mann, den du liebst, hat lange genug auf dich gewartet.«
    Der Mann, den du liebst. Kein Weg auf der Welt führte daran vorbei. »Aber er …«, stammelte sie, doch Vyves fiel ihr scharf ins Wort: »Fang nicht wieder an. Nein, er hat dich nicht verraten, nein, er hat Abel nicht getötet. Er hat dich immer zu beschützen versucht, sogar vor sich selbst, und ich habe nicht die mindesten Skrupel, dich bei ihm zu lassen, weil ich weiß, er wird gut zu dir sein. So wie du es mir in deinem langen Brief geschrieben hast.«
    »Das habe ich ja gar nicht sagen wollen!«, protestierte Amicia. »Er kann mir doch nicht verzeihen, Vyves – hast du die Narbe auf seiner Stirn gesehen? Weißt du, was Adam und Isabel ihm meinetwegen angetan haben? Und ich habe ihn einen Mörder genannt. Ich habe ihm die Schuld an Magdalenes Tod aufgeladen und ihm die Qualen der Hölle gewünscht.«
    Vyves legte ihr die Hände auf die Schultern, küsste sie links und rechts auf die Wangen und ließ sie los. »Dasselbe erzählt er vermutlich gerade seinem Abt: Sie kann mir nicht verzeihen, ich habe ihr so viel Böses getan, und deshalb müssen wir beide bis ans Ende unseres Lebens leiden. Sei mir nicht böse, mein Liebes, aber ich habe jetzt keine Zeit mehr, mich mit solchen Kindereien zu befassen. Meine Familie wartete nämlich in Hastings auf mich, damit wir dieses Land gemeinsam verlassen, und wo wir in zwei Wochen sein werden, weiß allein Gott.« Er trat einen Schritt zurück und zwinkerte ihr ermutigend zu.
    »Um Himmels willen, Vyves, verzeih mir!«
    Drohend hob er einen Finger. »Vom Verzeihen will ich kein Wort mehr hören.« Damit drehte er sich um und ging der Rampe des Schiffes entgegen.

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    W
o sie Matthew finden würde, sagte ihr Stephen. Amicia hatte es befürchtet, und offenbar hatte Vyves denselben Gedanken gehabt.
    »Er hat mir sein Pferd geschenkt und gesagt, ich soll den Hund zu meinen Eltern nach London bringen.« Stephen, der Gastwirtssohn, der ein Ritter geworden war, kämpfte gegen Tränen, die seine Stimme ertränkten. »O mein Gott, o mein Gott in der Höhe! Du darfst das nicht erlauben, Amicia. Er ist der feinste Ritter, den dieses Land je besessen hat, und der feinste Mensch obendrein. Ich verdanke ihm alles, was ich habe, und …«
    »Ja, ja«, unterbrach ihn Amicia. »Er wäre sozusagen das Inbild der Vollkommenheit, wenn er nicht einen bedauerlichen Fehler hätte. Er ist ein Dummkopf. Aber das soll mich nicht stören, denn ich bin es auch.«
    Damit trieben sie ihre Pferde in Galopp. Da Althaimenes das kleine Pferdchen weit hinter sich ließ, hielten sie noch einmal an und tauschten ihre Tiere. So ritt Amicia auf dem hohen, eleganten Fuchs auf dem Gelände von Quarr Abbey ein. In dem Augenblick, als sie das steinerne Torhaus erblickte, schmolz ihre Zuversicht zu nichts.
    Sie würde den schweren Messingklopfer in die Hände nehmen und ihn wie eine Rasende gegen das eisenbeschlagene Holz der Tür dreschen, aber was würde sie damit erreichen? Im schlimmsten Fall erkannte Bruder Benedict durch eine Ritze, dass eine Frau draußen stand, und sperrte das Torhaus nicht einmal auf. Im besten sagte er ihr, dass sie keinen Zutritt zum Inneren des Klosters hatte und dass ein Mann, der sich
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