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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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einmal bereuen, wie töricht es war.«
    »Ich weiß«, erwiderte Amicia. »Um die Liebe meiner Eltern stand es dürftig, und doch bin ich überreich beschenkt, denn mich lieben die beiden fabelhaftesten Männer der Welt. Aber nur einer von ihnen ist für mich bestimmt. Ich bin gekommen, um ihn abzuholen.«
    Er kämpfte, rang mit sich, presste mühsam Worte heraus. »Du darfst das nicht tun, Amicia.«
    Sie ging nicht darauf ein. »Vyves lässt dir danken«, sagte sie.
    Wegwerfend winkte Matthew ab. »Ein mutiger Mann hätte dort in Westminster lauthals seiner Empörung Luft gemacht. Nicht klammheimlich eine einzelne Familie fortgeschafft.«
    Amicia stemmte die Hände in die Hüften und warf sich in die Brust. »Dafür hättest du wahrhaftig Randulphs Leviten verdient. Bist du bei anderen in deinem Urteil auch so gnadenlos? Oder nur bei dir?«
    Über sein müdes Gesicht ging ein Zucken. Es machte ein Ende mit Amicias Kraft. Sie trat so nah zu ihm, dass sie seinen Duft wahrnahm und alles schlagen hörte: ihr Herz und ihr Blut. Ehe er zurückweichen konnte, hob sie die Hand und strich ihm über die Wange. Sie erschauderten beide. Es war ihr, als hätte sie nichts – keine Heimat, keine Mutter, keinen Vater – je so sehr entbehrt wie diese Berührung. Sie nahm seine Hand, schob den Stoff des Ärmels zurück und betrachtete das schorfverkrustete Gelenk. Mit einem Finger strich sie darüber.
    »Nicht«, flehte er.
    »Doch«, sagte sie und liebkoste ihn weiter. »Ich will dir etwas erzählen, Matthew. Von Magdalene. Weißt du, was sie zu mir gesagt hat, was das Letzte war, das sie auf Erden zu mir hat sagen können? Sie hat gesagt, ich soll dich tüchtig und geduldig lieben, bis du dich nicht mehr zerkratzt, weil du Angst hast, du könntest in mir stecken bleiben.«
    Er starrte sie an. In seinen Augen stand die pure Überrumpelung, und dann konnten sie beide nicht anders, als herauszulachen. Nicht so schallend und frei, wie Amicia damals im Wald gelacht hatte. Aber diesmal würde niemand kommen, der ihnen ihr Lachen zerschlug.
    Sie legte sein zerschundenes Gelenk an ihre Wange. »Ach mein Liebling. Bitte verzeih mir. Hat das im Leben schon einmal ein Mensch zu dir gesagt?«
    »Ich habe dir nichts zu verzeihen.«
    »Scht!« Mit einem Finger berührte sie seine Lippen. »Doch, du hast. Und bitte verzeih mir auch im Namen von Magdalene, die es nicht mehr kann. Sie war schwer krank, sie hätte nicht mehr lange gelebt, und sie hat sich so sehr gewünscht, ihr Leben für unseres zu geben. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie sie darüber weinen würde, dass ausgerechnet du für ihren Tod bestraft worden bist. Und ausgerechnet von mir.«
    »Du hattest doch recht!«, fuhr er auf. »Wäre ich nicht zu feige gewesen, die Wahrheit zu sagen, dann wäre …«
    »Dann wäre das alles trotzdem passiert. Weil uns jemand übelwollte. Nicht weil dir der Mut fehlte, der Frau, der du imponieren wolltest, von den hilflosesten, ohnmächtigsten Augenblicken deines Lebens zu erzählen. Vielleicht hätte die Frau dir mehr helfen sollen. Vielleicht hätte sie bereit sein müssen zu hören, was du ihr zu sagen hattest, und vielleicht ist sie das erst jetzt. Ich weiß, du kannst Schuld nicht einfach abwerfen wie einen Mantel, der dir nicht mehr passt, und dafür liebe ich dich. Ich bin sicher, diesem Land ist hundertmal besser mit Männern gedient, die Schuld schultern und damit arbeiten, statt sie irgendwem zuzuschieben – den Juden, den Walisern, einem Kind, das mit Obst geworfen hat. Trag sie weiter, Matthew. Du hast die Kraft dazu. Aber zermalme dich nicht, darum bitte ich dich.«
    »Das hatte ich nicht vor«, sagte er rau und wies mit einer Drehung der Schulter auf die Gebäude der Abtei. »Deshalb wollte ich dorthin. Ich wollte, dass Gott mir hilft.«
    »Er hilft dir, Liebling.« Amicia musste die Fäuste ballen, um nicht zu jubeln. Er hatte in der Vergangenheit gesprochen. »Manchen öffnet Gott die Pforte eines Klosters, und manchen schickt er eine zerrupfte Amsel, die beim Tragen mittun kann.« Ohne Vorwarnung griff sie zu und zauste ihm sein ewig ungekämmtes Haar, das er sich nicht scheren lassen durfte, weil sein Torhaus zum Himmel nicht in Quarr stand.
    Einen Herzschlag lang erlaubte er sich, halb die Augen zu schließen und die Zärtlichkeit zu genießen. Dann sah er sie wieder an, und die Qual in seinem Blick schnitt ihr ins Herz. »Mit der Schuld vor den anderen kann ich leben«, sagte er. »Aber nicht mit der vor dir. Ich habe
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