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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition)
Autoren: Joe R. Lansdale
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verteilt.
    Sunset klammerte sich schreiend am Boden fest, während der Wirbelsturm über sie hinwegtobte.
     
    Kaum war der Sturm vorüber, klarte der Himmel auf, und die Sonne brannte wieder gnadenlos herab, als hätte es den kalten Wind und den Regen nie gegeben.
    Sunset blutete. Sie fühlte sich schwach. Als sie aufstand, fielen Kleiderfetzen zu Boden. Sie zog den Glassplitter heraus, der in ihrer Schulter steckte. Er hatte nicht allzu viel Schaden angerichtet, die Wunde blutete kaum.
    Nackt – bis auf die Schuhe und den Revolver, den sie immer noch in der Hand hielt – trat sie aus den Überresten ihres Hauses heraus und stolperte die schlammige Lehmstraße entlang. Unter ihren Schuhen zappelten und zuckten Frösche, Elritzen und Flussbarsche.
    Sie fühlte sich so verloren wie Kain, nachdem er Abel getötet hatte.
    Petes Auto hatte sich – völlig verbeult und mit dem Dach nach unten – um zwei riesige Eichen gewickelt, als wäre es aus flüssigem Lakritz. Nicht weit davon entfernt lag sein hölzerner Aktenschrank. Die Tür war zerbrochen, und die Akten hatten sich überall verteilt.
    Wie es das Schicksal wollte, stieß sie auf eine ihrer Gardinen, die sie aus einem Mehlsack genäht und blau gefärbt hatte. Sie hing von einem Ast herab wie vom Arm eines Hausdieners.
    Sunset wickelte sich die Gardine um die Taille, drapierte ihre langen roten Haare über ihre Brüste und ging weiter die Straße entlang. Ihre Schuhe quietschten bei jedem Schritt. Sie bückte sich, um einen zermatschten Frosch von der Sohle abzukratzen, und als sie wieder hochsah, entdeckte sie Uncle Riley, den farbigen Messerschleifer, der mit seinen zwei Maultieren und dem Wagen die Straße entlanggezuckelt kam. Sein Sohn Tommy ging nebenher, pickte mit einem spitzen Stock Flussbarsche auf und warf sie auf die Ladefläche.
    Als Uncle Riley Sunset sah, zog er die Zügel an und sagte: »Oh verdammt. Ich hab nix gesehen, weiße Ma’am. Wirklich. Und Tommy hier hat auch nix gesehen. Wir haben beide gar nix gesehen.«
    Aber Tommy sah eine ganze Menge. Sunsets Brüste linsten durch ihr rotes Haar hindurch, und Tommy hatte noch nie Brüste gesehen, weder weiße noch schwarze, abgesehen von denen seiner Mama, als sie ihn gestillt hatte, aber die Erinnerung daran war längst verblasst.
    Sunset war es in dem Moment völlig egal, wer was sah. Sie blutete aus Nase und Mund, und ihre Augen schwollen allmählich zu. Sie fühlte sich, als hätte man sie in Brand gesteckt und das Feuer dann mit dem Rechen ausgeklopft.
    »Uncle Riley«, sagte sie. »Ich bin’s, Sunset. Ich bin verprügelt worden.«
    »Ach Gott, Mädel, aber wirklich. Ich steig jetzt runter und helf Ihnen. Aber dass Sie mir ja auf nix schießen, hörn Sie?«
    Sunset sackte auf die Knie, wollte wieder aufstehen, schaffte es aber nicht.
    Uncle Riley, vierundvierzig Jahre alt, einen Meter neunzig groß und gut einhundert Kilo schwer, hatte eine glänzende Glatze, die er mit einem Schlapphut bedeckte. Er stieg vom Wagen, zog sein Arbeitshemd aus und drehte den Kopf zur Seite, während er auf Sunset zuging.
    Uncle Riley legte Sunset das Hemd um die Schultern. Sie ließ die Gardine fallen und knöpfte das Hemd mit der freien Hand zu, alles auf den Knien. Wieder versuchte sie aufzustehen, und wieder gelang es ihr nicht. Uncle Riley hob sie hoch wie ein kleines Kind. Sie umklammerte die Pistole, als wäre sie Teil ihrer Hand.
    Er trug sie zum Wagen, ließ sie auf den Sitz gleiten und stieg dann selbst hinauf. »Ab jetzt fass ich Sie nicht mehr an, Miss Sunset.«
    »Schon in Ordnung, Uncle Riley. Du hast dich wie ein echter Gentleman benommen.«
    Tommy, der mit einem aufgespießten Fisch neben dem Wagen wartete, stand immer noch der Mund offen.
    »Rauf mit dir«, sagte Uncle Riley.
    Tommy kletterte hinten auf den Wagen zu den Fischen, die sie eingesammelt hatten. Sie waren überall auf der Ladefläche verteilt, und an einigen Stellen reichten sie ihm bis zu den Knöcheln. Für Uncle Riley war der Fischregen ein Geschenk Gottes gewesen. Genug Fisch zum Essen und genug Fisch zum Salzen und Räuchern. Sie hatten sogar ein paar Frösche aufgeklaubt, weil Tommys Mama – die Hebamme Cary – gern Froschschenkel aß.
    Tommy fragte sich gerade, ob sich der Fisch wohl halten würde, jetzt, wo es wieder heiß wurde und sie diese zusammengeschlagene, vollbusige Frau herumkutschieren mussten. Was in Gottes Namen sollten sie bloß mit ihr machen?
    Und dann dachte Tommy: Ihr Haar ist so lang und rot und wild wie
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