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Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)

Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)

Titel: Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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ich die Haustür gehen, und ich schleiche mit einem Berg ungemachter Hausaufgaben in die Küche, wo Mutter das Abendessen zubereitet. Wir sitzen schweigend am Küchentisch und essen. Mutter liest die FAZ oder starrt aus dem Fenster oder sonst wohin.
    Dann der Showdown: Hausaufgabenkontrolle. Mutter schaut sich kopfschüttelnd an, was für einen unvorstellbaren Schwachsinn ich mir aus den entzündeten Fingern gesogen habe. Mein Gott, jetzt verbringt sie ihre Jahre damit, jeden Abend mit einem sabbernden Kretin am Küchentisch zu sitzen. Das Leben ist so entsetzlich! Meins auch. Das Pochen im Unterleib ist schon wieder unerträglich. Es ist nach zehn, als sie aufgibt und mich endlich auf mein Zimmer entlässt.

    Der April ist schon längst da, aber der Winter will einfach nicht zu Ende gehen. Der Außenmühlenteich wurde offiziell zum Eislaufen freigegeben, das hat es seit zwanzig Jahren nicht mehr gegeben. Mit Mutter ist irgendwas Unheimliches im Gange. Sie ist irgendwie ängstlich und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nach dem Unterricht wirkt sie meist so erschöpft, dass sie sich gleich nach dem Abendbrot auf ihr Zimmer zurückzieht, sie guckt nicht mal mehr die Tagesschau. Klavier oder Flöte übt sie auch kaum noch, und morgens findet sie nur schwer aus dem Bett. So komme ich zwar um die vermaledeite Hausaufgabenkontrolle herum, aber trotzdem mache ich mir ernsthaft Sorgen, schließlich ist sie ja immer noch meine Mutter.
    Hinzu kommt das schlechte Gewissen wegen Oma Emmi. Die fragt regelmäßig nach, wann ich sie mal wieder besuche. Ich sehe sie mutterseelenallein in dem viel zu großen Haus glucken, als einzige Gesellschaft Dachsi und Frau Donath, wenn die überhaupt noch lebt. Oma Emmi ruft immer bei Oma an. Mich direkt zu fragen, traut sie sich nicht, weil sie mir nicht auf die Nerven gehen will, schließlich bin ich in der Pubertät und habe andere Sachen zu tun, als am Wochenende aufs Dorf zu fahren. Denkt sie.
    Opa besuche ich auch so gut wie nie, weil ich das Elend im Heim nicht aushalte. Außerdem reicht’s, wenn Oma täglich hinzuckelt. Sie bringt es nicht fertig, auch nur einen Tag mal nicht hinzugurken, obwohl sie langsam, aber sicher auf dem letzten Loch pfeift. Manchmal bin ich richtiggehend sauer auf Opa. Der hat doch von den Besuchen eh nichts mehr. Mit jeder weiteren Woche, die vergeht, quält er sich und andere mehr. Mein Gott, warum kann er nicht endlich sterben! Ich schäme mich bei dem Gedanken, aber was soll ich machen. Mein arme Oma mit ihrem reinen und gütigen Herzen. Sie besteht aus nichts als Sorgen und muss sich noch dazu von Frau Marek schikanieren lassen. Oma hat jetzt schon Angst vor dem Frühling, wenn sie den Garten besorgen muss, mit siebenundachtzig! Hark, feg. Aber mehr als sie alle zwei, drei Tage besuchen und schwere Sachen tragen schaff ich auch nicht.

    Am nächsten Wochenende will Mutter zu einem Seminar fahren, das vom «Marburger Kreis» veranstaltet wird, einer sogenannten charismatischen christlichen Bewegung. Mutter verspricht sich davon, mal so richtig aufzutanken und endlich wieder etwas Lebensfreude zu gewinnen. Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Was genau da veranstaltet wird, wusste sie nämlich auch nicht. Gruppen- und Einzelgespräche, Gottesdienste, was weiß ich, Ringelpiez mit Anfassen. Geld kostet der Spaß auch noch, und zwar nicht zu knapp. Aber vielleicht hilft’s ja wirklich.
    Von wegen. Als sie am Sonntagabend zurückkehrt, ist sie völlig am Ende. Sie zittert am ganzen Körper, ihr Gesicht ist eine Granitmaske, ich rieche den kalten Schweiß auf ihrem Körper. So habe ich sie noch nie gesehen. Ich habe überhaupt noch nie einen Menschen so gesehen.
    Angst habe sie, eine ganz schreckliche Angst. Ob ich es seltsam fände, dass sie während der gesamten Zugfahrt laut gebetet habe? Nein, antworte ich, was soll ich sonst sagen. Angst ist ansteckend, ich merke, wie sie überspringt und mir den Mund austrocknet. Wir setzen uns aufs Sofa, und sie versucht, ganz tief und ruhig zu atmen, wie sie es beim autogenen Training gelernt hat. Doch sie steht unter einem solch ungeheuren inneren Druck, dass es sie nicht lange im Sessel hält. Ziellos läuft sie durch die Wohnung. Plötzlich springt sie wie angestochen hoch und hängt sich mit ihrem ganzen Gewicht an das Hufeisen, das als Glücksbringer im Flur angebracht ist. Sie reißt und zieht und zerrt, bis es krachend aus der Verankerung bricht und Mutter mitsamt Hufeisen keuchend zu Boden geht. Ein
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