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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben
Autoren: Joerg Liemann
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Architekt damit bezweckt?«
    Nichts. Kaugummikauen.
    »Ihr seht, dass die grünen Marmorsäulen unregelmäßig verteilt sind. Am Anfang viele und nach dort hinten hin werden es weniger. Woher kennt man so was?«
    »Wald?«, fragte einer.
    »Genau. Wenn ihr genau hinschaut, erkennt ihr, dass manche Säulen gar nicht bis an die Decke reichen. Es sind 99   Säulen, an sieben von ihnen rinnt Wasser herunter. Habt ihr schon eine davon gefunden? – Der Architekt will, dass jeder Besucher am Anfang regelrecht
im Wald steht
. Er soll verwirrt sein: Obwohl alles wie in einem typischen repräsentativen Gebäude aussieht, geht dieser Säulenwald gegen unsere Gewohnheit. Außerdem seht ihr, dass es am Eingang und im ganzen Foyer dunkel ist, die Augen müssen sich erst daran gewöhnen, stimmt’s?«
    Vereinzeltes Nicken, wieder der Gähner.
    »Je weiter ihr vorgeht, desto weniger Bäume gibt es, die Decke wird höher – sie steigt von acht auf sechzehn Meter, es wird heller. Das ist die Idee einer Lichtung. Dort hinten seht ihr die Treppen, und an die Stelle des dunklen Marmors tritt Holz. Der Architekt möchte, dass die zunächst irritierten Besucher sich der Dunkelheit bewusst werden und dass sie instinktiv zum Licht streben. Dort, oberhalb der Treppe, gibt es nur noch Glas und Licht und Weißmetall. Dort ist unsere Forschungsabteilung, und da befindet sich auch das Auditorium maximum. Ohne dass man einen Wegweiser braucht, weiß man auf diese Weise, in welche Richtung man gehen muss – sofern man nicht wie wir im Foyer verabredet ist. Das ist Kunst, ohne dass es nach einem Kunstwerk aussieht.«
    »Und das da?«, fragte eine Zierliche und deutete auf das Munch-Gemälde.
    Dieses blöde Bild   …
    Melina lächelte und zuckte die Achseln. »Es heißt ›Die Pubertät‹ und stammt von einem berühmten norwegischen Maler. Vielleicht kennt ihr sein Gemälde ›Der Schrei‹? – Seht es euch beim Rausgehen nachher noch mal genauer an.«
    Einer verdrehte die Augen.
    »Worum geht es heute?«, fragte Melina. Sie griff in ihren Rucksack auf dem Ledersessel und zog ein Gehirn heraus. »Um das hier!«
    Raunen.
    »Das ist ein gutes Modell. Und ein teures, lasst es nicht fallen. Es fühlt sich genauso an wie ein menschliches Hirn, ihr könnt die Oberfläche leicht eindrücken. Auch die Färbung stimmt – unser Gehirn ist nicht einfach nur grau. Es wiegt 1,1 bis 1,5   Kilogramm.«
    Das Hirn ging von Hand zu Hand.
    Keine Lena.
    Vorsichtiges Drücken, Wiegen in der Handfläche, ungeduldiges Wegnehmen, Ekelmimik, Unglaube, Freude. Und – unvermeidlich – einer, der sich das Gehirn auf den Kopf setzte.
    Wie immer. Melina wartete auf die Rückkehr des Gehirns, hielt es hoch und sagte: »Euer Gehirn schwimmt unablässig in einer Salzbrühe. Wenn ihr zu wenig trinkt, dehydriert der Körper, und es kann zu Kopfschmerzen kommen. Wenn ihr Wasser literweise und pausenlos in euch hineinschüttet – es gibt so idiotische Kampftrinkereien mit Mineralwasser   –, dann kann das Gleichgewicht des Salzwassers im Kopf umkippen. Und das ist tödlich.«
    »Cool.«
    »Von allem, was ihr esst – Pommes, Schokoriegel, Kartoffelchips, Burger   …   –, wird ein Fünftel vom Gehirn benötigt. 20   Prozent der Energie für dieses Organ, das nur 2   Prozenteures Körpergewichts ausmacht. Aber wozu wird so viel Energie benötigt? Habt ihr eine Idee?«
    Schulterzucken.
    »Die Salzlösung nennt man Cerebrospinalflüssigkeit. Sie enthält Natrium- und viel weniger Kaliumionen. Tag und Nacht arbeiten molekulare Pumpen, um die Kaliumionen in die Nervenzellen zu bugsieren und um das Natrium herauszuleiten. Durch die unterschiedlichen Ladungen der Ionen entsteht Strom.«
    »Ein Kraftwerk im Kopf«, sagte einer und kicherte.
    Sie deutete auf den Jungen und nickte. »Mit diesem Kraftwerk im Kopf befasst sich das
Institut Zucker
. Das Kraftwerk baut sich im Laufe unseres Lebens von selbst um. Und wir wollen wissen, warum das geschieht.«
    Sie verstaute das Gehirnmodell im Rucksack. »Jetzt noch kurz vier Sätze zum Institut, mit dem ihr zusammenarbeiten wollt: Professor Friedrich Zucker gründete das Institut 1984.   Er verlegte es 1994 nach Berlin und arbeitete mit der Charité zusammen. Dieser Neubau hier in Berlin-Gatow wurde vor drei Jahren fertig. Seitdem konzentrieren wir uns auf die Erforschung der Hirn-Physiologie während der menschlichen Pubertät. Alles klar?«
    Einzelne nickten.
    »Gut, dann sagt mir: Wann wurde das
Institut Zucker
gegründet? Was
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