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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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und seine Powwowkleidung brauchten sie für die Totenwache und die Beerdigung. Sim durchsuchte die Boxen auf dem Truck, und als sie die Sachen gefunden hatte, brachte sie beides ins Tipi.
    Der Medizinmann hatte ein Inipi, eine Schwitzhütte, vorbereitet, in der sie stundenlang hockten (Sim verlor das Gefühl für die Zeit) und sich in der scharfen, dampfenden Hitze reinigten. Anfangs dachte Sim, sie würde die Hitze nicht überleben, die von der pulsierenden roten Glut der Steine ausging. Doch auch wenn sie mit sich zu kämpfen hatte: Sie spürte, wie ihre Poren sich öffneten und ihr Körper von unguten Dingen befreit wurde.
    Als Sim sich nach dem Inipi unter der Dusche erfrischte, kam es ihr vor, als hätte alles Gift ihren Körper verlassen. Sie fühlte sich leicht und rein, gewappnet für alles, was kommen mochte.
    Um Jimi Little Wolfs Seele auf die letzte Reise zu schicken, folgten sie einer nach dem anderen He Dog ins Tipi, wo er im Licht einer Petroleumlampe den Starquilt und Jimis Powwow-Kleidung mit Salbei beräucherte. Mit Michaels Hilfe öffnete der alte Mann Jimis Sarg und sie betteten den Leichnam auf den Starquilt. Ein letztes Mal betrachtete Sim Jimis junges, narbiges Gesicht mit den wächsernen Lippen. (Sie wollte es nicht, aber sie musste daran denken, wie diese Lippen sie geküsst hatten.)
    Jo und He Dog zogen Jimi seine Powwow-Kleidung an, das hirschlederne, mit Perlenstickerei verzierte Hemd und die ledernen Leggings. Sim war dankbar für das miserable Licht im Tipi, denn der Akt des Umkleidens hatte etwas ungeheuer Intimes und doch war sie unfähig wegzusehen. Gänsehaut kroch ihre Arme hinauf und sie wünschte sich, allein zu sein mit Lukas, weit weg von diesem spärlich beleuchteten Tipi, in dem Dinge vor sich gingen, die ihr Angst einjagten und die sie ein Leben lang nicht vergessen würde.
    Der Medizinmann schnitt Jimi eine Strähne seines Haares ab, wickelte sie behutsam in weiches Leder und verschnürte das Ganze zu einem Bündel. Dieses Seelenbündel hängte er über ihre Köpfe an eine der Tipistangen.
    Zum Zeichen seiner Trauer hatte auch Lukas eine Handvoll seiner Haare abgeschnitten, auf der rechten Seite reichten sie ihm jetzt nur noch bis auf die Schultern. He Dog zündete unter Gebeten seine heilige Pfeife, die Chanunpa, an und ließ sie herumgehen. Der Rauch, erzählte er ihnen, sandte ihre Gedanken und ihre Stimmen zu Wakan Tanka, dem Großen Geist. Jeder von ihnen nahm vier Züge für die vier Himmelsrichtungen.
    Als Sim die Pfeife mit dem schweren roten Pfeifenkopf aus Catlinitstein in den Händen hielt und viermal daran zog, durchströmte sie das Gefühl, an etwas teilzuhaben, das ungeheuer wichtig war und sie und Lukas auf ganz besondere Art miteinander verbinden würde.
    Nachdem Lukas die Pfeife geraucht und sie an He Dog zurückgegeben hatte, begann er zu singen. Zuerst zaghaft, dann immer kräftiger, bis Trauer und Mut in seiner Stimme Sim das Herz zusammenzogen. He Dog bat die Geister, Jimi auf seiner Reise auf die andere Seite zu führen, wo die Toten wieder mit ihren Vorfahren vereint waren. Der Medizinmann nannte Jimi Sungmanitu Ciqala, damit die Ahnen ihn an seinem Lakota-Namen erkennen konnten. Sungmanitu Ciqalas Geist würde über die Trauernden wachen und Sim fand, dass das ein schöner Gedanke war.
    Die Nacht verging in einem Wechsel von Gebeten, Schweigen und Gesang. Jo nickte manchmal minutenlang ein und Michael stieß sie in die Seite, wenn sie anfing zu schnarchen. Sim merkte, dass auch ihr immer wieder die Augen zufielen, obwohl sie das mit aller Macht zu verhindern suchte.
    Als es draußen zu dämmern begann, ließ He Dog noch einmal die Pfeife herumgehen. Lukas legte den Kiesel, dessen Magie bei Jimi versagt hatte, zurück auf die Brust des Toten. Dann faltete He Dog den Stoff des Starquilts endgültig über Jimis Gesicht.
    Mit steifen Knochen stiegen Sim und die anderen aus dem Tipi und atmeten die salbeigeschwängerte Luft des neuen Morgens, der sich mit einem glutroten Streifen am östlichen Horizont ankündigte. Der starke Kaffee, den Michael in He Dogs Küche kochte, weckte nicht nur Sims Lebensgeister.
    Das Grab war ausgehoben, ein Freund des Medizinmannes hatte das bereits am gestrigen Vormittag übernommen. Da He Dog vorhatte, Jimis Wunsch zu respektieren und ihn gegen die Vorschriften ohne Sarg zu bestatten, mussten sie seinen Leichnam ohne fremde Hilfe zum Hügel schaffen. Denn je mehr Leute davon wussten, umso schwieriger würde es sein, das
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