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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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hatten.
    Weil Jimi das gefallen hätte, nahm Lukas He Dogs Angebot an.
    »Kann ich Black Arrow zu dir bringen?«, fragte er.
    »Willst du Jimi mit seinem Pferd beerdigen?«
    »Nein«, antwortete Lukas. »Black Arrow soll leben.« Früher war es Sitte gewesen, einen Krieger, der ehrenvoll gestorben war, mit seinem Kriegspony zu beerdigen. Dafür wurde das Pferd bemalt und mit dem besten Sattel und Zaumzeug geschmückt. Nach einer Zeremonie wurde es erschossen und mit seinem Besitzer beerdigt, damit er nicht zu Fuß gehen musste auf seiner Reise ins Land der Ahnen.
    Jimi hatte viel gegeben auf solche alten Traditionen, aber Lukas fand, dass sein Bruder laufen sollte, denn er hatte über eine Menge Dinge nachzudenken auf seiner Reise.
    Er übergab He Dog das bemalte Holzkästchen mit den heiligen Dingen, und wie ergriffen der alte Medizinmann darüber war, hörte Lukas an dessen Atem. »Wir beide werden sie hüten und dafür sorgen, dass Gutes getan wird mit dieser Macht«, sagte er.
    Es war schon spät, als er sich mit Ghost wieder auf den Heimweg machte. Obwohl Jimis Tod noch immer wie eine bleierne Decke auf ihm lastete, merkte er, dass sein Verstand langsam, aber sicher seine Arbeit wieder aufnahm und er in der Lage war zu tun, was getan werden musste.
    Diese Kraft verdankte er den Menschen, die ihm jetzt nahe waren: He Dog, Sim, Jo und Michael. Als Ghost ihn durch die Nacht trug, entlang der Weidezäune in Richtung Horse Hill, spürte er die große Liebe, die er für Sim empfand. Er sehnte sich danach, sich neben sie zu legen und ihren Herzschlag zu hören. Mehr wollte er nicht.
    Wenig später schlüpfte er zu ihr unter die Decke. Sie schmiegte sich an seinen Rücken und legte einen Arm um ihn. Trauer und Glück brachen so heftig über ihn herein, dass er fürchtete, davon mitgerissen zu werden. Doch Sim hielt ihn fest.
    Den darauffolgenden Vormittag verbrachten sie damit, alles für Jimis Totenwache und die Beerdigung vorzubereiten. Mittags schloss Jo den Laden und sie fuhren mit dem Pick-up und Michaels Geländewagen nach Pine Ridge. Das Lakota-Beerdigungsinstitut lag am Rand der Stadt, unterhalb des alten Hospitals.
    In einem Vorraum, in dem ein senfgelbes Sofa und zwei passende Polstersessel standen, warteten sie, bis Rusty Keller erschien, ein älterer Mann mit schütterem grauem Haar. Er bat sie, ihm zu folgen.
    Jimi lag in ein weißes Leinentuch gewickelt in einem abgedunkelten Raum auf einer Bahre. Keller schlug das Tuch zurück, sodass sie das Gesicht des Toten sehen konnten, dann ließ er sie allein.
    Er sieht friedlich aus, dachte Sim. Fast meinte sie, den typischen spöttischen Zug um seine wächsernen Lippen zu erkennen. Lukas trat an die Bahre. Er war ebenso grau im Gesicht wie sein toter Freund und Sim spürte seine tiefe Verunsicherung, als er nach Jimis Körper tastete.
    Sie nahm Lukas’ rechte Hand und führte sie zu Jimis Gesicht. Dann trat sie zurück und lehnte sich an die Wand. Jo und Michael nickten ihr zu und verließen den Raum.
    Beinahe zärtlich glitten Lukas’ Finger über die vertrauten Gesichtszüge seines Freundes. Er murmelte etwas Unverständliches, dann wandte er sich zu Sim um.
    »Lass uns gehen. Er ist nicht mehr hier.«
    Der Bestatter führte sie in einen anderen Raum, in dem Särge in verschiedenen Ausführungen und Preisklassen standen.
    »Jimi wollte keinen Sarg«, sagte Lukas.
    Alle sahen ihn überrascht an, nur Rusty Keller nicht. Der kratzte sich am Hinterkopf und seufzte. »Niemand will einen Sarg«, sagte er. »Aber so sind die Vorschriften. Ich kann ihn euch nur in einem Sarg mitgeben.«
    »Was kostet der da?«, fragte Jo und zeigte auf ein schlichtes Modell aus Pinienholz.
    »Siebenhundertfünfzig Dollar.«
    »Den nehmen wir«, entschied sie und Sim war erstaunt, wie selbstverständlich ihre Tante die hohe Summe für Jimis Sarg bezahlte und die Formalitäten erledigte.
    Während Jimi umgebettet wurde, was eine Stunde dauerte (Sim war es ein Rätsel, wie das Hineinlegen in einen Sarg so viel Zeit in Anspruch nehmen konnte), fuhren Jo und Michael zum Sioux-Nation- Supermarkt, um ein paar Lebensmittel und Getränke einzukaufen. Sim und Lukas saßen im Schatten eines Baumes auf einer Bank vor dem Flachbau des Beerdigungsinstituts.
    »Warum wollte Jimi keinen Sarg?«, fragte Sim.
    »Früher haben wir unsere Toten in ein Büffelfell gewickelt und auf einer Plattform in den Ästen eines Baumes beerdigt«, antwortete Lukas. »Wenn jemand stirbt, tritt er eine Reise auf der
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