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Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten
Autoren: Antje Babendererde
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Geisterstraße an, die auf die andere Seite führt, in das Land unserer Ahnen. Auf halbem Wege sitzt Hinhan Kaga, die Eulenfrau, und richtet über die Seelen der Verstorbenen. Sie entscheidet, ob einer würdig ist, ins Land der vielen Zelte zu gehen, oder ob er zurück auf die Erde muss und dort als Schatten umherwandelt.«
    Trotz Hitze bekam Sim eine Gänsehaut.
    Lukas wandte ihr das Gesicht zu. »Jimi fürchtete sich davor, seine Reise nicht antreten zu können, wenn er in einer Holzkiste unter der Erde liegt.«
    »Und was nun?«
    »Warten wir es ab.«
    Eine Weile schwiegen sie, dann hielt es Sim nicht länger aus. »Die Eulenfrau«, fragte sie, »wonach entscheidet sie, wer weitergehen darf und wer zurückmuss?«
    Lukas seufzte. »He Dog sagt, man muss ein gutes Leben geführt haben, darf anderen keinen Schaden zugefügt haben. Man muss ehrlich gewesen sein, zu sich selbst und gegenüber anderen.«
    Armer Jimi, dachte Sim.
    »Ich weiß, was du jetzt denkst.« Lukas’ Hände ballten sich zu Fäusten. »Dass Eulenfrau ihn zurückschicken wird.«
    Ich glaube nicht an Eulenfrau, schoss es Sim durch den Kopf. Trotzdem hatte Lukas recht. Genau das hatte sie gedacht.
    »Ich hoffe, sie lässt ihn gehen.«
    »Ja, das hoffe ich auch.«
    Ein schwarzer Jeep mit dem Symbol der Stammespolizei kam auf den Parkplatz gefahren und hielt neben Jos Truck. Lone Elk stieg aus und kam zu ihnen herüber. Der junge Officer begrüßte Sim per Handschlag und klopfte Lukas auf die Schulter. Er setzte sich neben sie auf die Bank. Mit der Rechten fuhr er sich durch sein kurzes Haar und stützte die Ellenbogen auf die Knie.
    »Alles okay mit dir, Luke?«
    »Ich komme klar.«
    »Gut, dass du nicht allein bist.«
    »Ja.«
    Sim sah das besorgte Gesicht des jungen Polizisten und lächelte ihm zu. »Meine Tante kümmert sich um alles«, sagte sie.
    »Ja. Jo ist ein feiner Kerl. Sie müsste das nicht tun.«
    »Sie hatte Jimi gern.«
    Verlegen wandte Lone Elk den Kopf ab. »Das ist gut«, murmelte er. Und nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, sagte er: »Ich habe Jimis Sachen dabei. Die Spurensicherung hat sie untersucht und freigegeben. Weil er keine Angehörigen hat, konnte ich die FEDs davon überzeugen, die Sachen dir zu überlassen, Luke. Sind bloß drei Boxen. Was meinst du, habt ihr noch Platz dafür?«
    »Ich denke schon«, antworte Sim. »Die Ladefläche des Trucks ist groß genug.«
    In diesem Moment kehrten Michael und Jo zurück und ein paar Minuten später brachten zwei Träger den Sarg aus dem hinteren Teil des Gebäudes. Sie schoben ihn auf die Ladefläche des Pick-ups und Michael befestigte ihn mit ein paar Seilen. Danach luden sie die drei Plastikboxen mit Jimis Habseligkeiten aus dem Polizeijeep auf den Truck.
    Lone Elk fasste in seine Uniformtasche und drückte Lukas eine Kassette in die Hand. »Hier«, sagte er, »die ist für dich. Ich habe sie in Jimis Wagen gefunden. Hör sie dir an, wenn du eine ruhige Minute hast.«
    Lukas befühlte die Kassette, als könnte er allein durch Ertasten herausfinden, was sich darauf befand. Sim spürte seine Verunsicherung. Nach dem Unfalltod seiner Mutter und seiner Erblindung war Jimis Tod vermutlich das Schlimmste, was er bisher erlebt hatte.
    »Ach ja…«, Lone Elk fuhr sich wieder durchs Haar, »auch Roxie und Teena sind in Untersuchungshaft. Jemand hat dem FBI verraten, wo sie sich versteckt hielten.«
    Lukas presste die Lippen aufeinander. Seine Finger umklammerten die Kassette.
    »Die Leute sind einfach nur froh, dass es vorbei ist, Luke. Sie sind froh, dass es nicht noch mehr Tote gegeben hat. Sie hatten Angst um ihre Kinder und Enkelkinder.«
    »Ich weiß«, sagte Lukas.
    Der Officer packte ihn kurz an der Schulter, nickte Sim zum Abschied zu und legte Zeige- und Mittelfinger an eine imaginäre Mütze. Er stieg in seinen Jeep und fuhr davon.
    »Alle sind im Gefängnis«, sagte Lukas leise.
    »Du nicht«, erwiderte Sim und umarmte ihn.
    Gemeinsam brachen sie nach Manderson auf. Als sie mit dem Sarg bei Henry He Dog eintrafen, war es schon später Nachmittag. Der Medizinmann hatte das Tipi für Jimis Ankunft vorbereitet und den Boden mit frischem Salbei ausgelegt. Michael, He Dog, Lukas und Sim trugen den Sarg ins Tipi und stellten ihn auf das Bett aus Salbei.
    Jo und Sim schafften die Speisen in die Küche und verstauten sie im Kühlschrank. Lukas bat Sim, unter Jimis Sachen nachzuschauen, ob der rote Starquilt dabei war, den seine Großmutter als junge Frau gemacht hatte. Den Quilt
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