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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen
Autoren: Iny Lorentz
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hätte gerne mehr für sie getan. Doch er konnte nur ihren Oberkörper stützen, damit sie nicht auf den nassen Boden zurücksank, und seinem Boten schnelle Beine wünschen, damit bald Hilfe kam.
    Da tauchte wie aus dem Nichts Miene neben ihnen auf, Gesicht und Arme waren von Malwines Peitschenhieben gezeichnet. Die Alte ging noch krummer als sonst, doch in ihren Augen las Hannes eine grimmige Zufriedenheit.
    »Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen trefflich fein«, sagte sie mit einem Seitenblick auf das Gut, das nun, da die große Scheune mit ihrem hohen Dach fehlte, auf einmal fremd wirkte.
    Hannes schüttelte den Kopf. »Du bist dumm, Miene! Was musstest du die Herrin auch so reizen?«
    »Kord hat mir vor seinem Tod aufgetragen, Malwine ihre Schlechtigkeit so oft wie möglich vor Augen zu führen. Darum lebe ich ja noch! Ich werde nicht eher sterben, als bis sie samt ihrer Brut zugrunde gegangen ist.«
    »Warum hasst du sie so?«
    »Bist du nicht selbst beim Lehrer Huppach in die Schule gegangen, Hannes?«, fragte die Alte. »Er war der Schwiegersohn des wahren Herrn auf Trettin! Hätte es diese Majoratsregel nicht gegeben, wäre er nach Wolfhard von Trettins Tod hier Gutsherr geworden. Malwine und ihr Ehemann Ottokar, der Neffe des alten Herrn, hatten nicht warten wollen, bis sein Onkel gestorben war, sondern haben ihn mit Hilfe ihrer Freunde bei Gericht um seinen Besitz gebracht. Danach befürchteten sie, Wolfhard von Trettin könnte seiner Tochter und seinem Schwiegersohn das wenige zukommen lassen, das er vor ihren gierigen Klauen gerettet hatte. Deshalb hat Ottokar das Lehrerhaus angezündet und die ganze Lehrerfamilie umgebracht.«
    »Alle nicht«, wandte Ursel ein. »Eine Tochter soll überlebt haben.« Im nächsten Moment stöhnte sie wieder auf.
    »So habe ich es auch gehört«, stimmte Hannes ihr zu.
    »Damit habt ihr recht!« Die alte Miene grinste mit ihrem fast zahnlosen Mund. »Die Lore ist davongekommen und hat später den zweiten Neffen ihres Großvaters geheiratet, den jungen Herrn Fridolin. Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht, denn sie ist seit elf Jahren nicht mehr hier gewesen. Solange der jetzige Gutsherr noch nicht volljährig war, ist Herr Fridolin einmal im Jahr gekommen, um die Bücher zu prüfen. Doch das ist schon einige Zeit her. Nun regieren Malwine und ihr Sohn das Gut nach Belieben. Doch lange werden sie ihren Raub nicht mehr genießen können. Der Brand der Scheuer war nur der Beginn, das Flammenzeichen des Herrn, dass die Rache sein ist und noch nicht vollendet!«
    Nach diesen Worten hinkte die alte Frau auf den Saum des Waldes zu, in dem das alte Jagdhaus des früheren Gutsbesitzers stand. Dort bewohnte sie ein Kämmerchen, das sie davor bewahrte, ins Arbeitshaus gesperrt zu werden.
    Hannes sah ihr nach und schüttelte sich. »Wenn man der Miene Glauben schenkt, beschleicht einen das Gefühl, als gäbe es auf der ganzen Welt nur Betrug und Mord.«
    »Aber was sie sagt, stimmt! Meine Mutter hat mir ebenfalls erzählt, dass Herr Ottokar das damalige Lehrerhaus angezündet hätte.« Ursel stöhnte unter einer neuen Schmerzwelle, doch kaum war diese ein wenig abgeebbt, kam sie wieder auf das Thema zurück. »Ich glaube daran, dass Miene so lange leben wird, bis sich das Schicksal der Herren auf Trettin vollendet hat. Sie muss steinalt sein! Meine Großmutter ist fast sechzig, und die sagt, sie hätte mit Mienes ältester Enkelin zusammen als Kleinmagd auf dem Gut angefangen.«
    Hannes nickte nachdenklich. »Ich habe gehört, sie ginge auf die hundert zu. Wie es heißt, betet unser Pastor heimlich, dass der Herrgott sie vor ihrem hundertsten Geburtstag von dieser Welt holt. Sonst muss er nämlich diesen Ehrentag mit ihr feiern! Dann kämen gewiss der Landrat aus Heiligenbeil und vielleicht sogar der Herr Oberpräsident aus Königsberg hierher. Wenn Miene dann geradeheraus so redete wie gerade, gäbe es einen fürchterlichen Skandal! Aber nun lass uns zusehen, wie wir dich ins Trockene bringen.«
    »Weh tun wird der Brand dem Herrn schon. Doch er ist selbst schuld! Er hätte nur im letzten Herbst die Feuerspritze richten lassen müssen«, stieß Ursel unter Schmerzen aus. Wieder biss sie in den Stofffetzen, den Hannes ihr gereicht hatte.
    Der Großknecht blickte zum Gut hinüber und betrachtete die niedergebrannte Scheune. Es war, als wollte der Himmel die düsteren Prophezeiungen Lügen strafen, denn der Regen hörte auf, und in den Wolken öffnete sich eine Lücke,
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