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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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war, die wie abgeschlagener Gips aussahen, hatte ich mit meiner Taschenlampe zur Decke hinaufgeleuchtet und dabei festgestellt, dass dieser Raum viel baufälliger war, als ich zunächst angenommen hatte. Hie und da waren bereits Teile des Gewölbes heruntergebrochen, und einige der stützenden Säulen neigten sich unter der Last der modernen Welt bedrohlich schief.
    »Du meine Güte«, sagte ich, weil mir plötzlich klar wurde, dass Cocco und seine Mannen hier unten nicht mehr unsere einzigen Feinde waren, »es dauert bestimmt nicht mehr lange, bis das alles einstürzt.«
    Während ich über die Schulter einen Blick zurück zu der unregelmäßigen Öffnung warf, die in den Vorraum führte, begriff ich, dass wir, selbst wenn es uns gelänge, unbemerkt dorthin zurückzuschleichen, niemals in der Lage sein würden, zu dem Loch hinaufzuklettern, durch das wir vorhin mit Hilfe der Männer hinuntergesprungen waren. Wenn ich meine ganze Kraft zusammennahm, schaffte ich es vielleicht, Janice hinaufzuhieven, aber was passierte anschließend mit mir? Und mit Bruder Lorenzo? Rein theoretisch konnte Umberto uns alle drei nacheinander hinaufheben, aber was wurde dann aus ihm? Sollten wir ihn einfach dort zurücklassen?
    Meine Spekulationen wurden jäh unterbrochen, als Cocco uns beide mit einem scharfen Pfiff zu sich zitierte und Umberto befahl, uns zu fragen, ob wir weitere Hinweise hätten, wo die verdammte Statue sich befinden könnte.
    »Oh, sie ist hier!«, platzte Janice heraus. »Die Frage ist nur, wo die Leute sie damals versteckt haben.«
    Als sie merkte, dass Cocco ihr nicht folgen konnte, versuchte sie zu lachen. »Habt ihr wirklich geglaubt«, fuhr sie fort, obwohl ihre Stimme zu zittern begann, »sie würden etwas so Wertvolles an einer Stelle platzieren, wo jeder es sehen könnte?«
    »Was hat Bruder Lorenzo gesagt?«, wandte ich mich an Umberto, wobei es mir in erster Linie darum ging, die allgemeine Aufmerksamkeit von Janice abzulenken. Meine Schwester sah nämlich aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Er hat doch bestimmt eine Idee.«
    Wir sahen alle zu dem Mönch hinüber, der allein umherspazierte und gerade die goldenen Sterne an der Decke betrachtete.
    »Und er ließ ihre Augen von einem Drachen bewachen«, zitierte Umberto. »Das ist alles.«
    »Wie seltsam«, sagte ich, während ich den Blick von einer Seite der Krypta zur anderen schweifen ließ. »Dort drüben auf der linken Seite befinden sich insgesamt fünf Seitenkapellen, und zwar in regelmäßigen Abständen, während es hier rechts nur vier sind. Seht mal. Die mittlere fehlt. Dort ist nur Wand.«
    Noch ehe Umberto meine Worte zu Ende übersetzt hatte, führte Cocco uns alle zu der Stelle, wo eigentlich die fünfte Tür hätte sein sollen.
    »Da ist nicht nur Wand«, bemerkte Janice und deutete auf ein farbenprächtiges Fresko, »sondern eine Landschaft mit einer großen, roten, fliegenden ... Schlange.«
    »Für mich sieht das eher wie ein Drache aus«, widersprach ich, während ich einen Schritt zurücktrat. »Wisst ihr, was? Ich glaube, das Grab ist hinter dieser Wand. Seht doch ...« Ich deutete auf einen langen Riss in dem Fresko. Unter dem Gips ließ sich die Form eines Türrahmens erahnen. »Offensichtlich war hier eine weitere Seitenkapelle, genau wie auf der anderen Seite, aber schätzungsweise hatte Salimbeni es irgendwann satt, rund um die Uhr Wachen aufzustellen. Deshalb ließ er die Kapelle einfach zumauern. Was mir durchaus einleuchtet.«
    Cocco brauchte keine weiteren Beweise dafür, dass sich das Grab tatsächlich hier befand. Binnen weniger Minuten war das Elektrowerkzeug wieder im Einsatz, und während die Männer unter lautem Getöse ihre Metallbohrer in das Drachenfresko und den darunterliegenden Stein trieben, um sich auf diese Weise Zutritt zu der verborgenen Kammer zu verschaffen, schien von den Schallwellen die ganze Krypta zu vibrieren. Diesmal fiel nicht nur Staub und Geröll auf uns herunter. Mit den Fingern in den Ohren sahen wir zu, wie große Stücke des Gewölbes abbrachen, darunter auch einige goldene Sterne, die mit schicksalhaftem Scheppern auf dem Boden aufschlugen, als lösten sich rund um uns herum plötzlich die Zahnräder des Universums.
     
    Als die Bohrer endlich verstummten, war die Öffnung in der Wand gerade so groß, dass ein Mensch hindurchpasste. Wie sich nun herausstellte, führte diese provisorische Tür tatsächlich in eine verborgene Nische. Nacheinander traten die Männer in die
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