Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
Vom Netzwerk:
war geborsten, war abgeblättert, und keine Lettern standen mehr dort, kein Wort, keine trotzige Devise, die wie des Schiffes Seele gewesen – nichts, womit es der aufgehenden Sonne sein Glaubensbekenntnis, seinen Namen hätte entgegenfunkeln können. Wir machten uns auf den Weg nach Norden. Eine Brise kam auf, und gegen Mittag fanden sich alle Boote zum letztenmal zusammen. Ich hatte in dem meinen weder Mast noch Segel; doch ich fertigte aus einem überzähligen Riemen einen Mast an und zog eine Bootsplane als Segel auf, mit einem Bootshaken als Rahe. Das Boot war freilich übertakelt; doch ich hatte die Genugtuung zu wissen, daß ich mit dem achterlichen Wind die beiden anderen Boote schlagen würde. Ich mußte auf sie warten. Dann taten wir alle einen Blick auf die Seekarte des Kapitäns und erhielten nach einem geselligen Mahl, bestehend aus Hartbrot und Wasser, unsere letzten Instruktionen. Sie waren recht einfach: nach Norden halten und so dicht wie möglich zusammenbleiben. ›Seien Sie vorsichtig mit dieser Nottakelung, Marlow‹, sagte der Kapitän; und Mahon rümpfe, als ich stolz an seinem Boot vorbeisegelte, die gebogene Nase und rief: ›Sie segeln Ihr Schiff noch unter Wasser, wenn Sie sich nicht vorsehen, junger Mann.‹ Er war ein boshafer alter Geselle – und möge ihn die See, in der er jetzt ruht, sacht wiegen, liebevoll, bis ans Ende der Zeit!
    Vor Sonnenuntergang ging ein schwerer Regenschauer über die beiden Boote hinweg, die weit achteraus fuhren, und das war das letzte, was ich für eine Weile von ihnen sah. Am nächsten Tag saß ich am Ruder meiner Nußschale – mein erstes Kommando –, mit nichts als Wasser und Himmel um mich her. Am Nachmittag sichtete ich die oberen Segel eines Schiffes in weiter Ferne, sagte aber nichts, und meine Leute bemerkten sie nicht. Wißt ihr, ich fürchtete, das Schiff könnte auf der Heimfahrt sein, und ich hatte nicht die Absicht, vor den Portalen des Ostens umzukehren. Ich hielt mein Boot auf Java zu – auch so ein gesegneter Name – gleich Bangkok, wißt ihr. Ich steuerte viele Tage. Ich muß euch nicht erst sagen, was es bedeutete, sich in einem offenen Boot durchzuschlagen. Ich erinnere mich an nächteund tagelange Windstille, in der wir pullen mußten – pullen, während das Boot stillzustehen schien – wie verhext im Zirkel des Horizonts. Ich erinnere mich an die Hitze, die Sintflut der Regenschauer, die uns ums liebe Leben Wasser schöpfen ließen (aber auch unser Bootsfaß füllten), und ich erinnere mich an sechzehn Stunden ohne Unterbrechung, mit einem Mund trocken wie Schlacke, den Steuerriemen über das Heck ausgelegt, um den Kopf des Bootes gegen die stürmische See zu halten. Bis dahin hatte ich nicht gewußt, was ich für ein Kerl war. Ich erinnere mich an die langen Gesichter, die entmutigten Figuren meiner beiden Leute, und ich erinnere mich an meine Jugend und das Gefühl, das nie wiederkehren wird – das Gefühl, ich konnte in alle Ewigkeit aushalten, könnte das Meer, die Erde und alle Menschen überdauern; das trügerische Gefühl, das uns in Freuden, in Gefahren, in die Liebe lockt, in eitle Unternehmungen – in den Tod; das glorreiche Bewußtsein der Stärke; die Hitze des Lebens in dieser Handvoll Staub; die Glut des Herzens, die mit jedem Jahr trüber wird, kälter, kleiner, und erlischt – und erlischt, zu bald, allzu bald – noch vor dem Leben selbst.
    Und so nun sehe ich den Osten. Ich habe seine geheimen Plätze geschaut und in seine innerste Seele geblickt; aber nun sehe ich ihn immer von einem kleinen Boot aus: einen hohen Gebirgszug, blau und in weiter Ferne – am Morgen; ein leichter Dunst – am Mittag; eine gezackte Purpurwand – bei Sonnenuntergang. Ich habe noch das Gefühl des Steuerriemens in der Hand, das Bild der sengenden blauen See vor Augen. Und ich sehe eine Bucht, eine breite Bucht, glatt wie Glas und blank wie Eis, schimmernd in der Dunkelheit. In der Ferne brennt ein rotes Licht über der Düsternis des Landes, und die Nacht ist weich und warm. Mit schmerzenden Armen ziehen wir an den Riemen, und plötzlich dringt ein Windstoß, ein sanfer und lauer Windstoß, beladen mit sonderbaren Düfen von Blüten, von aromatischen Hölzern, aus der stillen Nacht – der erste Hauch des Ostens, der über mein Gesicht streicht. Das werde ich nie vergessen. Es war unfaßbar und betörend wie ein Zauber, wie eine geflüsterte Verheißung geheimnisvoller Freuden.
    Wir hatten auf dieser letzten Wegstrecke elf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher