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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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nicht mehr richtig geschlafen haben – und in diesen Booten wird es ebenfalls verdammt wenig Schlaf geben.‹ ›Es wird bald keine Boote mehr geben, wenn Sie sich noch lange hier oben herumdrücken‹, sagte ich ärgerlich. Ich schritt zum Kapitän und rüttelte ihn an der Schulter. Schließlich öffnete er die Augen, rührte sich aber nicht. ›Zeit, von Bord zu gehen, Sir‹, sagte ich leise.
    Er stand mühsam auf, warf einen Blick auf die Flammen, auf das Meer – glitzernd rings um das Schiff, und weiter draußen schwarz, schwarz wie Tinte. Er blickte zu den Sternen auf, die schwach durch einen dünnen Rauchschleier schimmerten – in einem Himmel, der schwarz war, schwarz wie Erebos. ›Die Jüngsten voran‹, sagte er.
    Und der Leichtmatrose wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, stand auf, kletterte über die Heckreling und verschwand. Andere folgten. Schon im Begriff überzusteigen, hielt einer von ihnen inne, um seine Flasche zu leeren und sie dann mit kräfigem Schwung ins Feuer zu werfen. ›Da hast du was‹, rief er.
    Untröstlich, zauderte der Kapitän noch immer, und wir ließen ihn oben zurück, damit er eine Weile allein Zwiesprache mit seinem ersten Kommando halten könne. Dann kletterte ich abermals hinauf und brachte ihn schließlich vom Schiff herunter. Es war auch höchste Zeit. Die eisernen Stützen auf der Poop fühlten sich schon heiß an. Dann wurde die Fangleine gekappt, und die drei miteinander verbundenen Boote trieben vom Schiff ab. Es war genau sechzehn Stunden nach der Explosion, als wir das Schiff verließen. Mahon übernahm den Befehl im zweiten Boot, und ich bekam das kleinste – das Vierzehn-Fuß-Dingi. Das Großboot hätte uns mit Leichtigkeit alle aufnehmen können; doch der Kapitän hatte ja darauf bestanden, soviel wie möglich von der Schiffsausrüstung zu retten (für die Versicherungsgesellschaf) – und so erhielt ich mein erstes Kommando. Ich hatte zwei Männer unter mir, einen Sack Bisquits, ein paar Büchsen Fleisch und ein Bootsfaß mit Wasser. Ich hatte Order, mich dicht beim Großboot zu halten, damit wir im Fall eines Unwetters übergenommen werden könnten.
    Und wißt ihr, was ich im Sinn hatte? Ich beabsichtigte, mich so bald als möglich von den andern zu trennen. Ich wollte mein erstes Kommando ganz für mich allein haben. Ich dachte nicht daran, im Geschwader zu segeln, wenn sich die Gelegenheit zu einer unabhängigen Kreuzfahrt bot. Ich wollte selbständig an Land kommen. Ich wollte die anderen Boote schlagen. Jugend! Alles nur Jugend! Die dumme, zauberhafe, herrliche Jugend.
    Doch wir setzten uns nicht sogleich in Bewegung.
    Wir mußten ja erst das Ende des Schiffes abwarten. Und so trieben in jener Nacht die Boote umher, hoben und senkten sich in der Dünung. Die Männer dämmerten vor sich hin, wachten auf, seufzten, stöhnten. Ich sah das brennende Schiff an.
    Zwischen der Dunkelheit der Erde und des Himmels brannte es lichterloh auf einer Scheibe purpurnen Wassers, das durchwirkt war vom blutroten Funkenspiel: auf einer zugleich glitzernden und finsteren Wasserscheibe. Eine hohe, klare Flamme, eine gewaltige und einsame Flamme, wuchs aus dem Ozean, und von ihrer Spitze quoll der schwarze Rauch unablässig in den Himmel. Das Schiff brannte wütend, trauervoll und imposant wie ein Scheiterhaufen, der des Nachts entfacht wird, umgeben vom Meer, bewacht von den Sternen. Ein strahlender Tod ward dem alten Schiff wie eine Gnade, wie ein Geschenk, wie eine Belohnung am Ende seiner mühseligen Tage beschieden. Die Hingabe seines müden Geistes in die Obhut der Sterne und des Meeres war ergreifend wie der Anblick eines glorreichen Sieges. Kurz vor Morgengrauen fielen die Masten, und für einen Augenblick kam es zu einem Schwall und Gestöber von Funken, der die geduldige und wachsame Nacht, die riesige Nacht, die schweigend über dem Meer lag, mit flirrendem Feuer erfüllte. Bei Tagesanbruch war die Bark nur noch ein verkohltes Gerippe, das gemächlich unter einer Rauchwolke dahintrieb und in sich eine glühende Kohlenmasse barg.
    Dann nahmen wir die Riemen bei, die Boote formierten sich in Linie und fuhren wie in einer Prozession um das Schiff herum – das Großboot an der Spitze. Als wir um das Heck pullten, schoß von dort ein schlanker Feuerstrahl bösartig nach uns heraus, und unversehens versank das Schiff unter gewaltigem Gezisch kopfüber in den Fluten. Das noch nicht aufgezehrte Heck verschwand als letztes; doch die Farbe war fort,
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