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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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ich seine Faszination kennengelernt; ich habe die geheimnisvollen Gestade gesehen, das stille Wasser, die Länder der braunen Völker, wo eine tückische Nemesis so vielen der Eroberermächte, die stolz auf ihren Verstand, ihre Kenntnisse, ihre Kraf sind, auflauert, sie verfolgt, sie überwältigt. Doch für mich ist der ganze Osten in jener Vision meiner Jugend enthalten. Er liegt ganz und gar in dem Moment, da ich die Augen aufschlug und ihn ansah. Nach einem harten Ringkampf mit dem Meer trat ich ihm entgegen – und ich war jung –, und ich sah, wie er mich anblickte. Und dies ist alles, was davon übrig ist! Nur ein Augenblick; ein Augenblick der Kraf, der Schwärmerei, des Zaubers – der Jugend! … ein huschender Sonnenstrahl über einer fremden Küste, Zeit genug, um sich zu erinnern, Zeit für einen Seufzer, und – leb wohl! – Nacht! – Leb wohl …!« Er nahm einen Schluck.
    »Ah! Die guten alten Zeiten – die guten alten Zeiten, Jugend und das Meer. Zauber und das Meer! Das gute, starke Meer, das salzige, bittere Meer, das dir zuflüstert und dich anbrüllt und dir den Atem benimmt.« Er tat abermals einen Schluck.
    »Bei allem, was da wundervoll ist, es ist das Meer, glaube ich, das Meer als solches – oder ist es die Jugend allein? Wer kann das sagen? Doch ihr hier – euch allen gab das Leben etwas: Geld, Liebe – was immer man an Land erlangen kann – und, sagt, war das nicht die beste Zeit, damals, als wir jung auf See waren; jung waren und nichts besaßen, auf der See, die nichts gibt, außer harten Püffen – und manchmal einer Gelegenheit, die eigene Kraf zu fühlen – ist es nicht das allein, dem ihr nachtrauert?«
    Und wir nickten alle: der Mann der Finanzen, der Mann der Rechnungsbücher, der Mann des Gesetzes, wir alle nickten über dem polierten Tisch, der wie eine ruhige Fläche braunen Wassers unsere gefurchten, gerunzelten Gesichter widerspiegelte; unsere Gesichter, die von Mühe, Trug, von Erfolg, von Liebe gezeichnet waren; unsere müden Augen, die noch immer, unentwegt, begierig nach etwas im Leben Ausschau hielten, das, noch während es erhof wird, schon dahin ist – unbemerkt zerronnen, in einem Seufzer, in einem Nu – zusammen mit der Jugend, mit der Kraf, mit Illusion und Schwärmerei.

    Über Joseph Conrad

    Als der polnische Knabe Joseph Conrad Korzeniowski, dessen Vater in der sibirischen Verbannung gestorben war, mit fünfzehn Jahren den Wunsch äußerte, zur See zu gehen, nannte man ihn einen hoffnungslosen Don Quichotte. Er verstand nicht recht, was man damit meinte. Hätte er fortfahren sollen, von utopischen Möglichkeiten einer Befreiung Polens zu träumen? Schien nicht jeder Aufstand gegen das mächtige Zarenreich zwecklos und das Opfer des Lebens vergeblich? Anstatt abenteuerlichen Illusionen nachzuhängen, wollte er den wirklichen Kampf mit der elementaren Gewalt des Meeres suchen. Das war eine Aufgabe, die ihm als echte Mannesprobe erschien. Man konnte auch aus Liebe zu Polen Seemann werden und sich als Charakter bewähren.
    In den »Lebenserinnerungen« verteidigt Conrad diesen Entschluß gegen allzu billige Vorwürfe und erklärt ihn aus den »Widersprüchen, die zuweilen der Liebe selbst das Aussehen des Verrats geben«. In der Tat, um Conrad zu verstehen, muß man vor allem diese Paradoxie seines Innern verstehen. Er hat nie aufgehört, sich als Patriot zu fühlen. Während des Krieges sandte er Tausende von Pfunden nach Polen. Als man ihn einst im Laufe einer Unterhaltung, in der er nach seiner Gewohnheit hefig gegen radikale Methoden zu Felde zog, vorsichtig daran erinnerte, daß in seinem eigenen Land of genug rebelliert worden sei, erwiderte er in großer Erregung: »Das waren patriotische Aufstände – wenn sie auch aussichtslos waren wie ein Kampf gegen die Mächte der Finsternis.« Ein anderes Mal wählte er für eine Widmung aus dem Roman »Mit den Augen des Westens«, der diese russische Finsternis am schärfsten darstellt, den Ausspruch: »Die Welt ruht auf wenigen Ideen … sie ruht vor allem auf der Idee der Treue.« Mit seinem Patriotismus aber verband Conrad eine offene Abneigung gegen jede gestaltlose Schwärmerei. Es wäre absurd zu glauben, er habe um irgendwelcher literarischen Ziele willen – »um für Menschenforschung, Formung und Wahrheit zu kämpfen«, wie Josef Roth einmal behauptet hat – eine ungebundene Form der Existenz gesucht. Solche weltbeglückenden Abstraktionen lagen ihm zeit seines Lebens ebenso fern wie der Hang
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