Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Joyland

Titel: Joyland
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ihn machte, jedenfalls war ich wütend genug für uns beide. »Was ist passiert, dass Sie so sind? Hat Ihre Mutter eine Wäscheklammer auf Ihren Pullermann gesteckt, wenn Sie in die Ecke gepinkelt haben? Hat Uncle Sam Sie gezwungen, ihm einen zu blasen? Oder lag es …«
    »Halt's Maul! « Er erhob sich ein Stück, packte mit der einen Hand den Sicherheitsbügel und richtete mit der anderen die Pistole auf mich. Ein Blitz zuckte über den Himmel und tauchte ihn in ein fahles Licht: weit aufgerissene Augen, strähniges Haar, mahlender Mund. Und die Pistole. »Du sollst die Fresse …«
    »DEVIN, DUCK DICH! «
    Ich dachte nicht darüber nach, ich tat es einfach. Etwas krachte wie ein Peitschenknall – ein kristallklares Geräusch in der stürmischen Nacht. Die Kugel muss ganz knapp an mir vorbeigezischt sein, aber im Unterschied zu den Figuren in irgendwelchen Romanen hörte und spürte ich nichts. Die Gondel rauschte am Einstieg vorüber, und ich sah Annie Ross mit einem Gewehr auf der Rampe stehen, direkt vor ihrem Kombi. Das Haar wurde ihr ins leichenblasse Gesicht geweht.
    Wir bewegten uns wieder aufwärts, und ich schaute zu Lane hinüber. Er war mitten in der Bewegung erstarrt und hatte den Mund weit aufgesperrt. Das schwarze Haarfärbemittel rann ihm die Wangen hinunter. Die Augen waren nach oben gerollt, sodass nur noch die untere Hälfte der Iris sichtbar war. Der größte Teil der Nase war weg. Ein Nasenloch hing ihm auf die Oberlippe runter, der Rest war eine rote Ruine um ein Loch von der Größe eines Zehncentstücks herum.
    Er fiel auf den Sitz zurück. Mehrere seiner Vorderzähne glitschten ihm aus dem Mund. Ich riss ihm die Pistole aus der Hand und warf sie aus der Gondel. Dabei empfand ich … nichts. Nur tief im Innern dämmerte mir allmählich, dass ich heute Nacht vielleicht doch nicht sterben würde.
    »Oh«, sagte er. Und dann: »Ah.« Schließlich kippte er nach vorn, und das Kinn sank ihm auf die Brust. Er sah aus wie jemand, der sich überlegte, was ihm noch für Möglichkeiten blieben. Und zwar in aller Ruhe.
    Als die Gondel den höchsten Punkt erreichte, blitzte es wieder. Blaues Stroboskoplicht zuckte über mein Gegenüber hinweg. Eine Windbö erfasste uns, und das Spin ächzte und stöhnte. Inzwischen befanden wir uns wieder auf dem Weg nach unten.
    Wie verloren im Sturm, drang Annies Stimme herauf: » Dev, wie halte ich es an?«
    Erst wollte ich ihr sagen, dass sie nach der Fernsteuerung suchen solle, aber bei dem Wetter konnte das ewig dauern. Wenn sie das kleine Kästchen überhaupt fand. Und dann war es vielleicht zerbrochen oder lag in einer Pfütze und hatte einen Kurzschluss. Außerdem gab es eine bessere Möglichkeit.
    »Geh zum Motor!«, brüllte ich. »Schau nach dem roten Knopf! DER ROTE KNOPF, ANNIE! Das ist der Nothalt! «
    Ich rauschte an ihr vorbei, wobei ich bemerkte, dass sie dieselben Jeans und denselben Pullover anhatte wie noch vor ein paar Stunden. Die Kleider klebten ihr am Leib. Sie trug weder Jacke noch Kopfbedeckung. Sie war in aller Eile losgestürzt, und ich wusste auch, wer sie geschickt hatte. Wie viel einfacher wäre alles doch gewesen, wenn Mike sich von Anfang an auf Lane konzentriert hätte. Aber Rozzie hatte das auch nie getan, obwohl sie ihn seit Jahren kannte, und ich sollte später herausfinden, dass Mike sich überhaupt nie auf Lane Hardy konzentriert hatte.
    Ich glitt wieder himmelwärts. Aus Lanes Haaren lief schwarzer Regen in seinen Schoß. »Warte, bis ich wieder unten bin! «
    »Was?«
    Ich versuchte es nicht noch einmal; der Wind hätte meine Worte übertönt. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht auf den roten Knopf drückte, solange ich zu weit oben war. Während die Gondel im schlimmsten Unwetter weiter aufwärtsglitt, blitzte es abermals, dieses Mal von einem Donnerschlag gefolgt. Als hätte ihn das geweckt – vielleicht war das ja auch der Fall –, hob Lane den Kopf und sah mich an. Versuchte es jedenfalls; die Pupillen saßen wieder waagrecht in den Augenhöhlen, blickten jedoch in unterschiedliche Richtungen. Dieses furchtbare Bild hat mich nie mehr losgelassen, und es überfällt mich in den seltsamsten Momenten: während ich durch eine Mautstation fahre oder während ich morgens Kaffee trinke und die Sprecher bei CNN nur schlechte Nachrichten plärren oder wenn ich nachts um drei pinkeln muss, zur Wolfsstunde, wie irgendein Dichter sie so treffend bezeichnet hat.
    Er öffnete den Mund, und ein Schwall Blut floss heraus. Ein mahlendes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher