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Joyland

Titel: Joyland
Autoren: Stephen King
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Sommer 1972 durchzuarbeiten, und das taten wir natürlich auch. Der Stundenlohn war eher mäßig, aber unsere gemeinsame Zeit war unbezahlbar. Ich ging davon aus, dass das im nächsten Sommer genauso laufen würde, bis Wendy mir erklärte, dass sie und ihre Freundin Renee einen Job bei Filene's in Boston bekommen hätten.
    »Und was ist mit mir?«, wollte ich wissen.
    »Du kannst mich ja besuchen«, sagte sie. »Ich werde dich total vermissen. Aber es tut uns bestimmt gut, mal eine Weile getrennt zu sein, Dev.«
    Bei dem Satz hörte ich die Totenglocken läuten. Offenbar sah sie mir das an, jedenfalls stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste mich. »Die Liebe wächst mit der Entfernung«, sagte sie. »Außerdem hab ich ja meine eigene Bude, also kannst du vielleicht mal bei mir übernachten.« Als sie das sagte, schaute sie mir jedoch nicht in die Augen, und ich habe dann auch nie bei ihr übernachtet. Zu viele Mitbewohner, hieß es von ihr. Zu wenig Zeit. Natürlich kann man solche Probleme überwinden, aber irgendwie haben wir das nie geschafft, und das hätte mir ein bisschen zu denken geben sollen; im Nachhinein gibt es mir sogar ganz ordentlich zu denken. Schon mehrmals hätten wir »es« fast getan, aber dazu kam es dann doch nie. Im entscheidenden Moment machte sie jedes Mal einen Rückzieher, und ich drängte sie nie. Gütiger Himmel, ich spielte den Kavalier! Seither habe ich mich oft gefragt, was (so oder so) anders gelaufen wäre, wenn ich etwas weniger zurückhaltend gewesen wäre. Inzwischen weiß ich, dass junge Kavaliere nur selten eine Frau ins Bett kriegen. Stickt euch das auf ein Deckchen, und hängt es in der Küche auf.
    *
    Die Vorstellung, noch einen Sommer lang Böden zu schrubben und betagte Geschirrspülmaschinen mit schmutzigen Tellern zu beladen, gefiel mir nicht besonders, schon gar nicht, wenn sich Wendy hundert Kilometer weiter südlich aufhielt und in den hell erleuchteten Straßen von Boston ihren Spaß hatte. Aber immerhin hatte ich so einen festen Job, und den brauchte ich auch. Andere Perspektiven gab es keine. Dann, Ende Februar, bekam ich eine solche Perspektive zusammen mit dem Geschirr auf dem Förderband serviert.
    Irgendjemand hatte eine Ausgabe von Carolina Living gelesen, während er oder sie das Tagesgericht runtergeschlungen hatte, das an dem Tag aus Mexicali-Burgern und Caramba Fries bestand. Er oder sie hatte die Zeitschrift auf dem Tablett liegen lassen, und ich nahm sie zusammen mit dem Geschirr herunter. Fast hätte ich sie in den Abfall geworfen, steckte sie dann aber in meine Gesäßtasche. Kostenloser Lesestoff war schließlich kostenloser Lesestoff. (Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte: Ich musste mir mein Geld selbst verdienen.) Ich verschwendete keinen Gedanken mehr darauf, bis ich wieder in meinem Wohnheimzimmer war, wo die Zeitschrift, während ich mir eine andere Hose anzog, auf den Boden klatschte und mit den Kleinanzeigen auf der Rückseite nach oben liegen blieb.
    Wer auch immer darin geblättert hatte, hatte mehrere Jobangebote umkringelt … auch wenn er oder sie letztlich zu der Feststellung gelangt war, dass nichts davon wirklich passte; sonst wäre die Carolina Living wohl nicht auf meinem Förderband gelandet. Mir fiel eine Anzeige fast am unteren Seitenrand ins Auge, obwohl sie nicht angestrichen war. Fett gedruckt stand da: WORK CLOSE TO HEAVEN! Welcher Anglistikstudent könnte dem widerstehen? Und welcher Einundzwanzigjährige, den zunehmend die Angst plagte, seine Freundin könnte ihn verlassen, fände es nicht verlockend, in einem »Joyland« zu arbeiten?
    Aus einer Laune heraus rief ich unter der angegebenen Telefonnummer an. Eine Woche später steckten die Bewerbungsunterlagen in meinem Wohnheimbriefkasten. Der beiliegende Brief führte aus, dass ich, sofern ich den Sommer hindurch ganztags arbeiten wolle (und ob!), die unterschiedlichsten Dinge würde machen müssen, in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, Hausmeister- und Putzjobs. Ich brauchte einen gültigen Führerschein und müsse zu einem Vorstellungsgespräch nach Heaven kommen. Immerhin, das konnte ich in den anstehenden Frühjahrsferien erledigen, anstatt für eine Woche zu meinem Vater nach Maine zu fahren. Allerdings hatte ich zumindest einen Teil der Woche mit Wendy verbringen wollen. Vielleicht ergab sich ja die Gelegenheit, »es« zu tun.
    »Fahr zu dem Vorstellungsgespräch«, sagte Wendy, als ich ihr davon erzählte. Ohne im Mindesten zu zögern.
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