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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell
Autoren: Susanna Clarke
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ist.«
    Wie es schien, verachtete Mr. Norrell nicht nur lebende Zauberer. Er hatte auch alle toten geprüft und sie für unzulänglich befunden.
    Mr. Honeyfoot ging zwischenzeitlich mit erhobenen Händen, als wäre er ein Methodist, der Gott pries, rasch von einem Bücherschrank zum nächsten; er blieb kaum lang genug stehen, um den Titel eines Buchs zu lesen, bevor sein Blick auf ein weiteres auf der anderen Seite des Raums fiel. »Oh, Mr. Norrell«, rief er. »So viele Bücher! Hier werden wir sicherlich die Antworten auf alle unsere Fragen finden.«
    »Das bezweifle ich, Sir«, lautete Mr. Norrells trockene Antwort.
    Der Mann der Geschäfte lachte kurz auf – ein Lachen, das ganz eindeutig Mr. Honeyfoot galt, aber Mr. Norrell ermahnte ihn weder mit Blicken noch mit Worten, und Mr. Segundus fragte sich, welche Art von Geschäften Mr. Norrell dieser Person anvertraute. Mit seinem langen Haar, das so fransig war wie Regen und so schwarz wie ein Donnerschlag, hätte er gut in ein windgepeitschtes Moor gepasst oder in eine rabenschwarze Gasse oder vielleicht in einen Roman von Mrs. Radcliffe.
    Mr. Segundus nahm Die Instruktionen von Jacques Belasis heraus und stieß trotz Mr. Norrells schlechter Meinung davon sofort auf zwei außerordentliche Passagen. 6 Dann wurde er sich bewusst, wie schnell die Zeit verging und der Mann der Geschäfte ihn mit einem schrägen dunklen Blick bedachte, und er schlug Die Vortrefflichkeiten der Christlich-Judäischen Magie auf. Es handelte sich nicht (wie er angenommen hatte) um ein gedrucktes Buch, sondern um ein Manuskript, eilig hingekritzelt auf die Rückseiten von Papierfetzen, vor allem Rechnungen von Bierschänken. Mr. Segundus las von wunderbaren Abenteuern. Der Zauberer aus dem siebzehnten Jahrhundert hatte seine spärliche Zauberkunst dazu benutzt, um gegen große und mächtige Feinde zu kämpfen. Es waren Kämpfe, auf die sich eigentlich kein menschlicher Zauberer hätte einlassen sollen. Er notierte die Geschichte seiner verstreuten Siege, als seine Feinde den Kreis um ihn schlossen. Der Autor war sich während des Schreibens sehr wohl bewusst gewesen, dass seine Zeit vorüber war, und dass der Tod das Beste war, worauf er hoffen durfte.
    Im Raum wurde es dunkler; die uralte Schrift verschwamm auf der Seite. Zwei Diener betraten die Bibliothek und zündeten unter dem strengen Blick des ungeschäftsmäßigen Mannes der Geschäfte Kerzen an, zogen die Vorhänge zu und warfen neue Kohlen ins Feuer. Mr. Segundus hielt es für angebracht, Mr. Honeyfoot daran zu erinnern, dass sie Mr. Norrell den Grund ihres Besuchs noch nicht eröffnet hatten.
    Als sie die Bibliothek verließen, fiel Mr. Segundus etwas Merkwürdiges auf. Ein Stuhl stand vor dem Kamin, und neben dem Stuhl stand ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch lagen die in Leder gebundenen Deckel eines sehr alten Buches, eine Schere und ein dickes, grausam wirkendes Messer, wie ein Gärtner es zum Beschneiden benutzen mochte. Die Seiten des Buches fehlten. Vielleicht, so dachte Mr. Segundus, hat er sie weggegeben, um sie neu binden zu lassen. Aber der alte Einband sah noch gut aus, und warum sollte Mr. Norrell sich die Mühe machen und die Seiten entfernen und dabei riskieren, sie zu beschädigen? Ein geschickter Buchbinder war die geeignetere Person für diese Art Arbeit.
    Als sie erneut im Salon saßen, wandte sich Mr. Honeyfoot an Mr. Norrell. »Was ich heute hier gesehen habe, Sir, bestärkt mich in der Überzeugung, dass Sie die Person sind, die uns helfen kann.
    Mr. Segundus und ich sind der Ansicht, dass moderne Zauberer sich auf einem Irrweg befinden. Sie verschwenden ihre Energie auf Nichtigkeiten. Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Sir?«
    »Oh, aber gewiss«, sagte Mr. Norrell.
    »Unsere Frage lautet«, fuhr Mr. Honeyfoot fort, »warum die Zauberei in unserem großen Land ihren einst großen Ruf verloren hat. Unsere Frage lautet, Sir, warum wird in England nicht mehr gezaubert?«
    Mr. Norrells kleine blaue Augen wurden härter und leuchteten, und er kniff die Lippen zusammen, als wollte er eine große, heimliche Freude unterdrücken. Es war, so dachte Mr. Segundus, als hätte er lange Zeit darauf gewartet, dass ihm jemand diese Frage stellte, und als hätte er die Antwort darauf seit Jahren parat. Mr. Norrell sagte: »Ich kann Ihnen bei Ihrer Frage nicht helfen, Sir, denn ich verstehe sie nicht. Es ist die falsche Frage, Sir. In England wird noch gezaubert. Ich selbst bin ein ziemlich passabler praktischer
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