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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell
Autoren: Susanna Clarke
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einer Meinung sein, ohne dass zwei andere vom genauen Gegenteil überzeugt waren. Mehrere Herren bemerkten, dass sie voll und ganz mit Mr. Segundus übereinstimmten und keine Frage in der Erforschung der Zauberei so bedeutend sei wie diese. Unter den Anhängern von Mr. Segundus tat sich besonders ein Herr namens Honeyfoot hervor, ein angenehmer, freundlicher Mann von fünfundfünfzig Jahren mit rotem Gesicht und grauem Haar. Als die Auseinandersetzung immer erbitterter geführt wurde und Dr. Foxcastle Mr. Segundus zunehmend sarkastisch entgegentrat, wandte sich Mr. Honeyfoot mehrmals an ihn und flüsterte ihm Tröstliches zu wie: »Nehmen Sie sie nicht ernst, Sir. Ich bin voll und ganz Ihrer Meinung.« Und: »Sie haben völlig Recht, Sir, lassen Sie sich nicht beeinflussen.« Und: »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Das haben Sie, Sir. Das Fehlen der richtigen Frage hat uns bislang zurückgehalten. Aber jetzt, da Sie hier sind, werden wir großartige Dinge vollbringen.«
    Diese freundlichen Worte fanden einen dankbaren Abnehmer in John Segundus, dem der Schrecken deutlich anzusehen war. »Ich fürchte, ich habe mich unbeliebt gemacht«, flüsterte er Mr. Honeyfoot zu. »Das war nicht meine Absicht. Ich hatte auf das Einverständnis dieser Herren gehofft.«
    Anfänglich neigte Mr. Segundus dazu, niedergeschlagen zu sein, aber ein besonders boshafter Ausbruch seitens Dr. Foxcastles empörte ihn dann doch ein wenig. »Dieser Herr«, sagte Dr. Foxcastle und starrte Mr. Segundus kalt an, »scheint unbedingt zu wollen, dass uns das gleiche unselige Schicksal ereilt wie die Gilde der Zauberer von Manchester.«
    Mr. Segundus neigte sich zu Mr. Honeyfoot und sagte: »Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Zauberer von Yorkshire so halsstarrig sind. Wenn die Zauberei in Yorkshire keine Freunde hat, wo sollen wir sie dann noch finden?«
    Mr. Honeyfoots Liebenswürdigkeit gegenüber Mr. Segundus endete nicht mit diesem Abend. Er lud Mr. Segundus in sein Haus in High-Petergate ein, zu einem guten Abendessen in Gesellschaft von Mrs. Honeyfoot und ihren drei hübschen Töchtern, und Mr. Segundus, der ein allein stehender Herr und nicht wohlhabend war, nahm dankend an. Nach dem Essen spielte Miss (oder Mrs.?) Honeyfoot auf dem Pianoforte, und Miss Jane sang auf Italienisch. Am nächsten Tag sagte Mrs. Honeyfoot zu ihrem Mann, dass John Segundus genau so sei, wie ein Gentleman sein solle, aber sie fürchte, es würde ihm nicht zum Vorteil gereichen, denn es sei nicht Mode, bescheiden, still und warmherzig zu sein.
    Sehr rasch entwickelte sich Vertrautheit zwischen den beiden Herren. Bald verbrachte Mr. Segundus zwei oder drei Abende in der Woche im Haus in High-Petergate. Einmal waren mehrere junge Leute anwesend, und selbstverständlich wurde getanzt. Das alles war sehr vergnüglich, aber hin und wieder schlüpften Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus hinaus, um über das zu reden, was sie wirklich interessierte – warum wurde in England nicht mehr gezaubert? Doch so ausführlich sie darüber auch diskutierten (oft bis zwei oder drei Uhr morgens), sie kamen der Antwort nicht näher; aber das war vielleicht nicht weiter ungewöhnlich, denn alle möglichen Zauberer, Altertumsforscher und Gelehrte stellten diese Frage seit mehr als zweihundert Jahren.
    Mr. Honeyfoot war ein hoch gewachsener, fröhlicher, lächelnder Herr voller Energie, dem es gefiel, stets etwas zu tun oder etwas zu planen, und er dachte nur selten darüber nach, ob dieses Etwas auch dem Zweck der Sache diente. Die gegenwärtige Aufgabe rief ihm die großen Zauberer des Mittelalters 2 ins Gedächtnis, die auf Jahr und Tag mit einem oder zwei Elfendienern als Führer davonritten, wann immer sich ihnen ein scheinbar unlösbares Problem stellte, und war diese Zeit vorüber, hatten sie unweigerlich die Antwort gefunden. Mr. Honeyfoot sagte zu Mr. Segundus, dass sie seiner Meinung nach nichts Besseres tun könnten, als diesen großen Männern nachzueifern, von denen manche die abgeschiedensten Gegenden Englands, Schottlands und Irlands (wo die Zauberei am stärksten war) aufgesucht hatten, während andere überhaupt aus dieser Welt hinaus geritten waren, und heutzutage wusste niemand mehr, wo genau sie gewesen waren und was sie getan hatten, als sie dort angelangt waren. Mr. Honeyfoot schlug nicht vor, so weit zu gehen – ja, er wollte sich eigentlich gar nicht weit entfernen, denn es war Winter und die Straßen waren in miserablem Zustand. Aber er war fest davon
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