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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell
Autoren: Susanna Clarke
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überzeugt, dass sie irgendwohin gehen und irgendjemanden befragen sollten. Mr. Segundus gegenüber vertrat er die Meinung, dass sie beide ein wenig müde und ideenlos seien; der Vorteil einer frischen Ansicht sei nicht zu unterschätzen. Aber kein Ort, kein Mensch bot sich an. Mr. Honeyfoot war verzweifelt; und dann fiel ihm der andere Zauberer ein.
    Ein paar Jahre zuvor waren der Gilde von York Gerüchte über einen anderen Zauberer in Yorkshire zu Ohren gekommen. Dieser Gentleman lebte in einem sehr entlegenen Teil des Landes, wo er (wie es hieß) Tag und Nacht damit verbrachte, in seiner wundervollen Bibliothek seltene Texte über Zauberei zu studieren. Dr. Foxcastle hatte den Namen und den Wohnort des anderen Zauberers herausgefunden und ihn in einem höflichen Brief eingeladen, Mitglied der Gilde von York zu werden. Der andere Zauberer hatte geantwortet, sich für die ihm erwiesene Ehre bedankt und sein großes Bedauern zum Ausdruck gebracht: Er könne leider nicht – die große Entfernung zwischen York und Hurtfew Abbey – die schlechten Straßen – die Arbeit, die er unter keinen Umständen vernachlässigen könne – etc., etc.
    Die Zauberer von York hatten allesamt den Brief gelesen und ihre Zweifel daran geäußert, dass jemand mit einer so kleinen Handschrift einen auch nur mittelmäßigen Zauberer abgeben könne. Dann hatten sie den anderen Zauberer – mit leisem Bedauern um die wundervolle Bibliothek, die sie nie zu Gesicht bekommen würden – aus ihren Gedanken verbannt. Aber Mr. Honeyfoot erklärte Mr. Segundus, dass die Bedeutung der Frage »Warum wird in England nicht mehr gezaubert?« so erheblich sei, dass es ganz falsch wäre, irgendeine Möglichkeit außer Acht zu lassen. Wer wusste es schon? Es könnte sich lohnen, die Meinung des anderen Zauberers einzuholen. Und so schrieb er einen Brief des Inhalts, dass er und Mr. Segundus höchst beglückt wären, wenn sie dem anderen Zauberer am dritten Dienstag nach Weihnachten um halb drei Uhr nachmittags ihre Aufwartung machen dürften. Die Antwort kam prompt; Mr. Honeyfoot schickte in seiner gewohnten Gutherzigkeit und im Gefühl gegenseitiger Verbundenheit sofort nach Mr. Segundus und zeigte ihm den Brief. Der andere Zauberer schrieb in seiner kleinen Handschrift, dass er sich sehr über ihre Bekanntschaft freuen würde. Das genügte. Mr. Honeyfoot war begeistert und ging augenblicklich, um Waters, dem Kutscher, mitzuteilen, wann seine Dienste gebraucht würden.
    Mr. Segundus blieb allein im Zimmer zurück, den Brief in der Hand. Er las: »... Ich muss gestehen, ich kann mir die Ehre, die mir so plötzlich zuteil wird, nicht erklären. Es ist schwer begreiflich, dass die Zauberer von York, die sich doch gegenseitig beste Gesellschaft leisten und sich der unschätzbaren Wohltat all ihrer gemeinsamen Weisheit erfreuen, die Notwendigkeit empfinden, einen einsamen Gelehrten, wie ich es bin, zu konsultieren ...«
    Der Brief hatte etwas leicht Sarkastisches; der Verfasser schien Mr. Honeyfoot mit jedem Wort zu verhöhnen. Mr. Segundus tröstete sich mit dem Gedanken, dass es Mr. Honeyfoot nicht aufgefallen sein konnte, sonst wäre er nicht in solcher Hochstimmung zu Waters gegangen. Es war ein so überaus unfreundlicher Brief, dass Mr. Segundus' Wunsch, den anderen Zauberer kennen zu lernen, sich in Luft auflöste. Wie auch immer, dachte er, ich muss fahren, weil Mr. Honeyfoot es wünscht – und was kann schon Schlimmes passieren? Wir werden ihm einen Besuch abstatten, enttäuscht werden, und damit hat es sich dann.
    Am Tag vor dem Besuch herrschte stürmisches Wetter; der Regen übersäte die brachen braunen Felder mit großen schartigen Pfützen; die nassen Dächer sahen aus wie kalte steinerne Spiegel. Mr. Honeyfoots Kutsche holperte durch eine Welt, die mehr aus kaltem grauem Himmel und weniger aus fester tröstlicher Erde zu bestehen schien, als es normalerweise der Fall war.
    Seit dem ersten Abend hatte sich Mr. Segundus bei Mr. Honeyfoot nach der Gelehrten Gilde der Zauberer von Manchester erkundigen wollen, die Dr. Foxcastle erwähnt hatte. Jetzt tat er es.
    »Es war eine Gilde, die vor nicht allzu langer Zeit erst gegründet wurde«, sagte Mr. Honeyfoot. »Und ihre Mitglieder waren Herren der ärmeren Sorte, durchaus achtbare ehemalige Händler, Apotheker, Anwälte, pensionierte Mühlenbesitzer, die ein bisschen Latein gelernt hatten und so weiter, Leute, die man Halb-Gentlemen nennen könnte. Ich glaube, Dr. Foxcastle war froh, als sich die
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