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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition)
Autoren: Alexandra Fischer
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mächtiger Leib beim Eintauchen in die Wogen
gluckste. Émile nahm den brackigen Geruch der Algen wahr und
hörte den Anflug von Gesprächsfetzen an Bord. Mit der
Arroganz eines lebendigen Wesens blickte die Galeone auf sie
herab und spuckte verächtlich beim Anblick der Barke. Émile
wischte sich das Salzwasser aus den Augen und versuchte,
sein pochendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Die Galeone
war höher, als er erwartet hatte, und so imposant, dass er
sich nicht vorstellen konnte, dass sie leicht einzunehmen
war. Wenn überhaupt. Doch diesen Gedanken verdrängte er
rasch wieder, denn jetzt gab es kein Zurück mehr.
    Die Männer gingen in Position. Jeder kannte seinen Platz
und wusste, was er zu tun hatte. Dies war nicht ihre erste
Kaperfahrt und alle waren lüstern nach den verborgenen
Schätzen im Laderaum. Kurz vor dem Entern waren sie
besonders angespannt, denn in der bevorstehenden Schlacht
war jeder auf sich allein gestellt, und selbst der
sanftmütigste Mann wurde zu einer Bestie, wenn er Blut
geleckt hatte. Doch noch wusste keiner, was sie erwartete.
    Mit dem Werfen der Enterhaken stellten sie sich ihrem
Schicksal. In weitem Bogen flogen die klauenförmigen Haken
durch die Luft, bevor sie klirrend mittschiffs auf dem Deck
landeten. Die Männer zogen straff an und verankerten sie im
Holz. Dann erst schwangen sich Michel und die Mutigsten
unter ihnen hinauf, gefolgt von ihren angespornten
Kameraden. Wie behände Affen erklommen sie mit Hilfe ihrer
Äxte den gewölbten Rumpf, vorbei an den Kanonenluken und
über die Reling, wo sie sofort die Waffen zückten. Während
Émile noch am Seil baumelte und sich zwang, nicht nach unten
zu sehen, hörte er die ersten Schreie und das Getrampel der
aufgeschreckten Mannschaft. Schüsse zerrissen die Dunkelheit
und erfüllten die Luft mit Pulverdampf.
    Als Jérôme ihn an Deck zog, war der Kampf bereits in
vollem Gange. Spärlich erhellt durch Öllampen und gedämpft
durch den Rauch, sah Émile nur schemenhafte Gestalten. Es
war ihm unmöglich, seine Brüder von den spanischen Seeleuten
zu unterscheiden. Jérôme schubste ihn umher, immer darauf
bedacht, dass er nicht zwischen die Gegner geriet, und hielt
die Angreifer mit seiner Pistole in Schach. Von überall her
kam die Mannschaft gelaufen, und spanische Befehle wurden
über Deck gebrüllt.
    Bald verlor Émile die Orientierung. Einzig die Enterhaken
behielt er im Blick, um sich im Zweifel auf die Barke
zurückziehen zu können. Jérôme, der mit Feuereifer bei der
Sache war, sah aus wie der leibhaftige Teufel. Mit der
linken Hand schwang er den Säbel, mit der rechten, feuerte
er die Pistole ab. Seine Schüsse waren präzise, seine Hiebe
wirkungsvoll. Jeden Treffer quittierte er mit Gebrüll, Gnade
kannte er keine. Émile dagegen drosch den Säbel ziellos
durch die Luft und tat sein Bestes, Jérôme den Rücken frei
zu halten. Ein angreifender Matrose lief ihm genau in die
Parade. Wie aus dem Nichts tauchte er auf, und die scharfe
Klinge bohrte sich in seinen Hals. Gurgelnd griff er nach
Émile und strauchelte mit erstauntem Blick, bevor er zu
Boden sank. Entsetzt wich Émile zurück und brachte Jérôme
damit aus dem Gleichgewicht. Sie taumelten gegen die Reling.
Nach Luft schnappend fiel Émiles Blick auf die Barke, die er
noch längsseits wähnte. Doch anstatt das Boot als letzte
Rückzugsmöglichkeit an ihrem Platz vorzufinden, sah er mit
Entsetzen, dass es dabei war, mit Wasser vollzulaufen. Der
Bug war bereits abgesackt und einzelne Ruder trieben auf den
Wellen. Ungläubig verharrte er eine Sekunde zu lange, so
dass auch Jérôme nach unten sah. Sein Fluchen verriet mehr
als tausend Worte, und er zog Émile energisch fort.
    »Boot sinkt!«, brüllte er seinen Kameraden zu, während er
sich nach achtern durchkämpfte.
    Émile stolperte hinterher und fand kaum noch Halt auf den
von Blut glitschigen Planken. Wie ein Lauffeuer verbreitete
sich die Nachricht, dass es keine Umkehr gab. Einem Donnern
gleich erhoben sich die Stimmen der Männer über das
Gemetzel, um sodann in barbarischem Geheul zu enden. Die
Erkenntnis, dass sie entweder sterben oder bis zur
endgültigen Kapitulation der Spanier kämpfen mussten,
mobilisierte all ihre Kräfte. Émile wurde übel. Die
Schmerzensschreie der Verwundeten, der Gestank nach
Eingeweiden und die fühlbare Klaue des Todes setzten ihm zu.
Wie in Trance folgte er Jérôme, stieg über leblose Körper
und
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