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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition)
Autoren: Alexandra Fischer
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Donnerkiel, du hast mich erschreckt!«, rief
sie und drückte mit dem angestauten Atem auch ihre
Anspannung aus den Lungen. Dann lachte sie, stützte ihre
Hände auf die Knie und beugte den Rücken. Die hohe
Luftfeuchtigkeit klebte ihr das Hemd an den Oberkörper. Beim
Aufrichten fuhr sie sich mit der Hand über Mund und Stirn
und bemerkte einen metallischen Geschmack. Vor Aufregung
hatte sie sich gebissen und leckte sich ärgerlich über die
blutige Unterlippe.
    Pierre schlenderte auf sie zu und grinste.
    »Was tust du? Du willst doch nicht etwa langweilige
Frauenarbeit verrichten?«
    Jacquotte stemmte die Hände in die Hüften und sah gereizt
zu ihm empor. »Hüte deine Zunge, wenn sie dir lieb ist! Was
machst du hier, solltest du nicht mit den anderen auf der
Jagd sein?«
    Pierres Grinsen wurde breiter. Er hob seine Muskete auf,
die gut viereinhalb Fuß maß, und schulterte sie mit
jugendlicher Lässigkeit. Erst jetzt gesellte sich auch sein
gefleckter Hund zu ihnen und beschnupperte Jacquotte
freundlich.
    »Durch den Sturm sind die
maringouins
nicht so blutrünstig
wie sonst und ich dachte mir, wir könnten einen Ausflug zu
unserer Höhle machen«, schlug er vor.
    Sie tat desinteressiert, obwohl es ihr schmeichelte, dass
Pierre von ihrer Höhle sprach. Das klang nach einer
besonderen Verbundenheit, obschon ihr bewusst war, dass er
dort gerne saß und die vorbeiziehenden Schiffe beobachtete.
Als sie nicht sofort antwortete, knuffte Pierre sie in die
Seite und ging in Abwehrhaltung, denn er wusste nur zu gut
um ihre Reaktionen.
    Sofort hielt sie ihm die Machete unter die Nase und sagte:
»
D‘accord
, ich gehe mit dir! Aber zuerst müssen wir Manuel
holen. Und ich erwarte, dass du meinem Vater erklärst, warum
ich ohne Holz für das
boucan
zurückkomme.«
    »Dein Vater wird nichts sagen. Er ist sanftmütig wie eine
Schildkröte. Erst vor kurzem sah ich, dass er das unbehütete
Ei eines Buschhuhns fand, es mitnahm und den Haushühnern zum
Bebrüten ins Nest legte. Dabei weiß doch jeder, dass das
Küken wieder in den Busch läuft, wenn es das Geschrei seiner
Sippe hört.«
    »Er sorgt sich eben!« Jacquotte verteidigte ihren Vater,
obwohl sie wusste, dass Pierre Recht hatte.
    Als sie zurück zur Siedlung kamen, hörte man nur das
Rascheln der Blätter im auflandigen Wind. Jacquottes Blick
streifte die
ajoupas
, jene palmengedeckten Holzhütten, die
großzügig verteilt in einer natürlichen Senke lagen.
Limonenbäume spendeten Schatten und schützten die
Gemeinschaft vor unerwünschten Spähern. Vereinzelt sah man
Hunde, die in der Kühle selbst gegrabener Mulden dösten.
Ansonsten rührte sich nichts. Um diese Tageszeit hielten
sich nur die alten oder verletzten Männer in der Siedlung
auf.
    Ihr Vater saß entspannt vor einer der Hütten und ging
seiner Arbeit nach. Neben ihm lag einem Schatten gleich sein
alter, hellbrauner Hund, der ihn schon so lange begleitete,
wie Jacquotte denken konnte. Er war grau im Gesicht, die
Augen waren trüb, aber seine Nase funktionierte bestens und
er bellte heiser auf. Sie hob den Arm zum Gruß.
    Émile hielt inne und kniff die Augen zusammen. Er sah
nicht gut auf die Distanz, aber die Gestalt seiner Tochter
konnte er jederzeit ausmachen. Er war erfreut, sie zu sehen,
und beobachtete ihr Näherkommen. Der Bronzeton der Haut, die
hohen Wangenknochen, das rundliche Becken und die kräftigen
Waden waren eindeutig das Erbe ihrer Mutter Anani. Mit einer
vertrauten Geste strich sie das lockige Haar hinter die
Ohren und atmete tief durch. An diesem Tag brachte der Wind
salzige Meeresluft ins Landesinnere, die sich mit den herben
Aromen der Limonen vermischte. Er wusste, dass dies auf
Regen hindeutete. Seiner Tochter war das ebenso bewusst. Sie
war in der Natur aufgewachsen und verstand die Zeichen zu
deuten. Ihre Beine waren durch die Dornen zerkratzt, die
jeden Tag ihren Weg kreuzten. Verblassende Schrammen
bildeten mit den neuen ein bizarres Muster auf ihrer Haut.
Eine auffallend breite, gezackte Narbe schlängelte sich quer
über ihren linken Arm und verschwand unter dem Ärmel ihres
Hemdes. Sie war ein Mahnmal für Jacquottes Übermut,
entstanden bei einem ihrer Scheinkämpfe, als sie stolperte
und sich mit der Machete den Arm aufschnitt. Émile
schüttelte lächelnd den Kopf.
    In diesem Moment brach die Sonne durch die Wolken und ließ
Jacquottes dunkelrotes Haar aufleuchten. Die Männer sagten,
es hätte das Blut
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