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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition)
Autoren: Alexandra Fischer
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hieb auf gesichtslose Feinde ein. Als Jérôme ihm eine
Luke öffnete, die unter Deck führte, schwang er sich
erleichtert hinein, ohne nachzudenken, was ihn im Inneren
erwartete.
    Schwer atmend sondierte er die Lage. Die Luke sperrte den
Pulverdampf aus, und die Luft um sie herum wurde klarer.
Jérôme legte den Zeigefinger an die Lippen und lauschte auf
die Geräusche um sie herum. Am Ende des Niedergangs befand
sich ein langer Korridor, der mit einer massiven Holztür
abschloss. Dahinter war das Geschrei mehrerer Personen
auszumachen. Bevor sie an Rückzug denken konnten, wurde die
Tür aufgerissen, und Émile und Jérôme erstarrten. Einen
Herzschlag glaubte Émile, ihr letztes Stündlein habe
geschlagen. Eingepfercht zwischen den Decks, den Gegner im
Angesicht, gab es nicht viel, was sie hätten tun können.
Doch der dunkle Mann, der mit seiner Gefolgschaft durch die
Tür stürmte, war niemand anderes als Michel.
    Als er seiner Brüder ansichtig wurde, nickte er kurz und
wies sie an: »Da entlang! Seht zu, dass sich von unten
niemand nähert, und haltet mir den Rücken frei!«
    Während Michel in Richtung der Kapitänskajüte drängte, die
über dem Oberdeck am Heck des Schiffes lag, steuerten Émile
und Jérôme auf eine weitere Leiter zu, die sie zum nächsten
Deck führte. Immer tiefer ging es in das Innere der Galeone.
Ein schweres Ächzen des Gebälks erweckte den Eindruck, als
ob das Schiff unter dem überraschenden Angriff der Bukaniere
aufstöhnte.
    Jérôme übernahm die Führung. Zielsicher hastete er durch
das Labyrinth von Gängen, durchschnitt einem wachhabenden
cabo mayor
die Kehle, erschoss einen Matrosen und stürmte in
einen mit Pulverfässern überfrachteten Laderaum. Gerade als
sie der düsteren Kammer wieder den Rücken kehren wollten,
vernahm Émile ein Wimmern. Er hielt Jérôme zurück und gab
ihm ein Zeichen. Sie trennten sich und schlichen in
entgegengesetzter Richtung um die Fässer herum. Stetiges
Tropfen offenbarte die eindringende Feuchtigkeit unterhalb
der Wasserlinie und übertönte ihre Schritte. Émile meinte
schon, seine Sinne hätten ihm angesichts der Anspannung
einen Streich gespielt, als er Jérômes leisen Pfiff hörte.
    »Indioweiber!«, zischte er Émile zu, als dieser zu seinem
Freund eilte.
    Dunkle Gesichter starrten sie an. Die beiden Frauen waren
mit Seilen aneinander gefesselt und mit einem Tuch geknebelt
worden. Ihre erschrockenen Blicke und verrenkten Gliedmaßen
erweichten Émile auf der Stelle. Ähnlich wie der streunende
Welpe, der ihn erst kürzlich derart in seinen Bann gezogen
hatte, dass er ihm ein Heim gab. Sofort schickte er sich an,
die Fesseln zu lösen, doch Jérôme trat ihm in die Seite.
    »Komm jetzt! Um die kümmern wir uns später.« Er lachte
lüstern, und Émile ließ sich von ihm fortziehen.
    Sie durchkämmten das Schiff weiter auf der Suche nach
wehrhaften Matrosen, aber die Mannschaft hatte sich
offensichtlich geschlossen an Deck begeben, um den Angriff
abzuwehren. Das zeugte von der Hinterlist und dem damit
verbundenen Überraschungseffekt, den Michel d’Artigny für
sich nutzen wollte.
    In der Tat war der Kampf am Abflauen, als sie schließlich
ans Oberdeck zurückkehrten. Michel war es gelungen, den
Kapitän des Schiffes in seine Gewalt zu bringen und machte
sich gerade daran, ihn an den Besanmast zu fesseln.
Aufgebracht verfolgte die spanische Crew das Geschehen und
wurde von den Brüdern in Schach gehalten. Émile konnte es
kaum glauben. Michel hatte es geschafft! Einen kurzen Moment
glaubte er, ohnmächtig zu werden, so groß war die
Erleichterung, noch am Leben und unversehrt zu sein. Nicht
allen Brüdern war das Glück derart hold gewesen. Als er sich
umsah, bemerkte er viele von ihnen zwischen den Leichen der
spanischen Seeleute, während andere aus klaffenden Wunden
bluteten. Im Verhältnis zu den Spaniern wirkte ihre Einheit
lächerlich klein. Stolz erfasste Émile. Er fühlte sich mehr
denn je als Bestandteil dieser Gruppe, und als Jérôme ihm
anerkennend auf die Schulter klopfte, und er das Nicken
seiner Kameraden bemerkte, da lächelte er so strahlend, dass
das getrocknete Blut von seinem Gesicht abbröckelte. Er war
nicht länger Émile Vigot aus der Normandie. Zum ersten Mal
fühlte er seinen neuen Namen, den er nach der Aufnahme in
die Bruderschaft hatte wählen müssen, mit einer nie
gekannten Intensität. Seine Vergangenheit lag hinter ihm,
vor ihm lag die
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