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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd
Autoren: Unbekannt
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Rückblick
wie etwas, das man sonst nur in Wochenschauen erlebte. Dass die so
unterschiedlichen Männer am Tisch sich jetzt bei einer Zigarre über
Alltäglichkeiten austauschten, war kaum zu glauben. Es wirkte fast normal, wie
das gewohnte Beisammensein in einem Club, ein vertrautes Plaudern unter guten
Bekannten. Niemand hätte vermutet, dass hier konträre Weltanschauungen
miteinander kollidierten, Ideologien, die himmelweit auseinander lagen.
Unvorstellbar, dass diese Männer sich in wenigen Wochen unversöhnlich
gegenüberstehen, ja sogar die Familie ihres Tischnachbarn aus der Welt bomben
könnten. Etliche dieser Gegensätze waren unverblümt zur Sprache gekommen. Die
Engländer hatten mit ihren Überzeugungen nicht hinter dem Berg gehalten.
Spencer hatte Göring unmissverständlich klargemacht, dass Großbritannien am
Ende seiner Geduld sei. Alle Argumente seien ausgetauscht, weiteres
Entgegenkommen nicht zu erwarten. Man stehe Schulter an Schulter mit Polen und
werde bei einem Angriff der Deutschen seinerseits nicht zögern. »Dessen sollten
Sie sich sehr wohl bewusst sein, Eure Exzellenz«, hatte Spencer gesagt. »Es
wird von englischer Seite aus keine Ausflüchte mehr geben. Niemand in England
will einen Krieg mit Deutschland, aber wenn es nicht zu vermeiden ist, wird ihm
auch niemand aus dem Wege gehen. Was Sie dabei zu vergessen scheinen: Die
Deutschen mussten schon einmal angesichts der englischen Überlegenheit
kapitulieren. Das deutsche Volk hat unter dieser Bürde jahrelang gelitten. Nun
wollen Sie es wieder so weit kommen lassen, Gesundheit und Glück der Menschen
in Ihrem Land leichtfertig riskieren. Denn Sie werden auch dieses Mal verlieren,
Herr Göring. Sie werden an der Entschlossenheit des englischen Volkes
scheitern, so wie Sie schon einmal gescheitert sind. Ungeachtet der unzähligen
Opfer, die dieser Krieg auch unter den Briten und ihren Verbündeten fordern wird:
In dem Moment, in dem Sie in Polen einmarschieren, haben Sie diesen Krieg
verloren.«
    Göring hatte sich alle Argumente aufmerksam angehört
und vieles von dem erwidert, was sich auch Dahlerus schon hatte anhören
müssen. Es war immer dasselbe, der Anspruch auf die deutschen Gebiete, die
Übergriffe auf deutsche Landsleute.
    Spencer hatte ihm
scharf widersprochen. »Sie können nicht immer behaupten, dieses und jenes
Gebiet auf fremdem Staatsgebiet gehört historisch gesehen dem Deutschen Reich,
Ihre Landsleute würden dort schlecht behandelt, und sich als Reaktion darauf
gleich den ganzen Staat einverleiben. Stellen Sie sich vor, das würde jeder
machen. Was wäre, wenn Mussolini die Gebiete des Heiligen Römischen Reiches
beanspruchte? Und versuchte, halb Europa einzukassieren? Das funktioniert
nicht.«
    Göring
antwortete, es gehe ihm nicht um ganz Polen, sondern nur um Danzig,
Oberschlesien und den Korridor. »Sie werden doch nicht allen Ernstes die
Zugehörigkeit Danzigs zum Deutschen Reich in Frage stellen wollen, Mister
Spencer? Ich gebe Ihnen meine heilige Versicherung als Staatsmann und Offizier,
dass wir nur Forderungen auf urdeutsche Gebiete erheben. Entschuldigen Sie
bitte meine Ausdrucksweise, meine Herren, aber das restliche Polen kann mir
gestohlen bleiben.«
    Trotz der gegensätzlichen Auffassungen hatte Dahlerus gespürt, dass sich
die Stimmung im Verlaufe des Tages allmählich verbesserte. Görings Gesicht war
zartrosa angelaufen, er lachte ab und an über eine ironische Bemerkung und
flocht selbst ein paar Witzchen ein. Unter dem Berg von Vorwürfen und
Schuldzuweisungen war man sich wohlgesinnt, spürte Dahlerus. Das englische
Volk sei dem deutschen im Herzen eng verbunden, hatte Spencer geschmeichelt,
und Göring hatte das Kompliment zurückgegeben. Es liege nicht am englischen
Volk, dass man nicht Seite an Seite gehe, sondern allein an der englischen
Regierung, die ein starkes Deutschland verhindern wolle.
    So waren die Argumente ausgetauscht, bis die Raabes das Essen servieren
ließen und sich die Atmosphäre vollends entspannte. Im Zigarrendunst hatte man
sich darauf geeinigt, dass der Tag als Erfolg gewertet werden müsse und es an
der Zeit sei, die Vertreter beider Regierungen so schnell wie möglich an einen
Tisch zu bringen, um das auf offizieller Ebene weiterzuführen, was in kleinerer
Runde angefangen worden sei.
    Am späten
Nachmittag hatte sich Göring verabschiedet, nicht ohne sich bei jedem seiner
Gesprächspartner für dessen außerordentliches Engagement zu bedanken. Dahlerus
hatte diese Szene
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