Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Titel: Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Thomas Bleskin
Vom Netzwerk:
Arbeitstitel
«Bayreuth» läuft, konzeptionell ebenso beteiligt wie Witt. Warum gerade
«Bayreuth»? Ende der Achtziger Jahre, kurz nach Erscheinen von «10 Millionen
Partys», hatte Joachim ein Projekt namens Bayreuth Blitz ins Leben gerufen -
bis auf eine einzige Single waren die rein elektronischen Stücke aber von RCA
abgelehnt worden. Die Wagnerstadt und ihr pathetisches Image hatten Witt aber
seither nicht losgelassen, und er sieht jetzt die Zeit gekommen, mit dem Namen
«Bayreuth» die opulente Dunkelheit seiner neuen Stücke zu unterstreichen.

Das Hamburger Undergroundlabel Strangeways, das sich mit dem Duo Wolfsheim und
anderen Elektrobands wie Girls Under Glass oder De/Vision auf dem Indiemarkt
etabliert hatte, wird durch Vermittlung des  Projekt-Pitchfork-Sängers
Peter Spilles auf die neuen Tracks aufmerksam. Die Plattenfirma entschließt
sich, noch 1996 den Titel «Das geht tief» als Single zu veröffentlichen, doch
noch ist die Zeit nicht reif für Witt. Die Charts erreicht «Das geht tief»
nicht, aber Joachim hat jetzt wenigstens die Gewissheit, dass er für seine
künstlerische Neuausrichtung geschäftliche Unterstützung hat. Also schreibt er
weiter.

Bei Witt entstehen die Songs normalerweise so: Zuerst erarbeitet Joachim einen
Gitarrengroove, dann überlegt er sich den Ablauf der Harmonien. Steht das
instrumentale Grundgerüst, packt er einen Testgesang ohne fertigen Text auf das
Stück, um zu sehen, ob seine Idee überhaupt funktioniert. Dieses Konzept
durchbricht Joachim jetzt zum ersten Mal: Er stellt sich einfach vor das Mikro,
hängt sich die Wanderklampfe um singt live zur Gitarre die Urfassung dessen,
was später einmal «Die Flut» werden wird. Er merkt sofort, dass dieser Song
selbst in der rohesten Version eine unbändige Energie ausstrahlt, die er sonst
nur in kompositorischer Feinarbeit hinbekommt. Wie schon bei der Entstehung des
«Goldenen Reiters» spürt Witt das Besondere - und er merkt, je tiefer das Tal
ist, durch das er muss, desto intensiver wird seine Musik. Strangeways' Boss
Lothar Gärtner schlägt vor, den Titel als Duett mit Peter Heppner von den
Synthiepoppern Wolfsheim aufzunehmen – und Joachim findet die Idee großartig,
nicht zuletzt deshalb, weil «Über's Jahr» von Wolfsheim zu seinen aktuellen
Lieblingsstücken gehört. Die Chemie zwischen Witt und Heppner stimmt auf
Anhieb. Da dem Song noch der richtige Text fehlt, bittet Joachim seinen
Duettpartner, sich an die Zeilen zu setzen. Die Produktion übernimmt José
Alvarez-Brill, der sonst für die Elektrobands des Labels zuständig ist. Das
Dreiergespann perfektioniert «Die Flut» so lange, bis am Ende nicht weniger als
die Hymne der bevorstehenden Jahrtausendwende herauskommt.

Der Bruch mit seiner musikalischen Vergangenheit kommt gar nicht bewusst. Die
fertigen Songs, die Joachim für «Bayreuth» auswählt, spiegeln lediglich sein
Lebensgefühl wider - und großer Schmerz erfordert große Gesten. Joachims
Favorit ist der Song «Wintermärz», den er in einem Hotelzimmer mit Blick auf
den vereisten Ostseestrand geschrieben hatte - in der Zeit der Trennung von
Nadja. Witt merkt, dass eine einzige Platte wohl nicht ausreichen wird, um das
Thema «Bayreuth» als Synonym für wagnersches Pathos genügend auszureizen. Er
entschließt sich, eine ganze Werkreihe ins Leben zu rufen und nennt seine
aktuelle Produktion «Bayreuth eins». Ihm ist natürlich bewusst, dass es ob des
Namens Missverständnisse geben wird. Aber Joachim spielt gern mit der
Provokation, ganz so, wie es schon bei «Rucksack und Harpune» getan hatte. Um
dem Vorwurf der  Rechtslastigkeit zu entgehen, entschließt er sich, dem
Schriftbild seines jetzt auf Witt reduzierten Künstlernamens immer einen roten
Stern anzuheften. Joachim sieht «Bayreuth eins» als strenge, autoritäre Platte
- er will, dass die harschen Beats, die Stakkatogitarren und seine tiefe Stimme
keinen anderen Schluss zulassen. Aber: Er will auch zeigen, dass es positive
Autoritäten geben kann, wie etwa den kompetenten, einfühlsamen Mathelehrer, der
sich damals so radikal vom Rest der Lehrerschaft unterschieden hatte. Jetzt
inszeniert sich Witt als seine eigene Autorität. Exzentrisch und dramatisch.

Joachim ist klar, dass Strangeways die Vermarktung des Albums nicht allein
übernehmen kann - also peilt sein Manager Christoph John eine Zusammenarbeit
mit dem Branchenriesen Sony an. Der Konzern willigt nicht nur ein, sondern ist
von Witts neuen Arbeiten so überzeugt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher