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Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Titel: Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Thomas Bleskin
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The Midnighters. Der Rock'n'Roll
von Elvis, obwohl mit dem Twist musikalisch verwandt, lässt ihn seltsamerweise
kalt. Joachim ist einer der ganz wenigen seines Alters, denen es so geht. Für
ihn ist der Elvis der frühen Sechziger bereits rückwärtsgewandter Einheitsbrei,
kein Symbol des Neubeginns mehr, das Presley in den späten Fünfzigern
verkörpert hatte. Er entwickelt mit der Zeit eine Vorliebe für starke weibliche
Stimmen, hört Brenda Lee, Wanda Jackson und Little Evas «The Loco-Motion».
Diese Stimmen haben für ihn etwas Schräges, Schrilles und Unangepasstes – auch
die Begeisterung für diesen Aspekt der Popmusik wird die Jahre überstehen.

Die entscheidende Phase für Joachim Witts musikalische Ausrichtung
 beginnt schließlich mit den Beatles. Er spürt den Aufbruch, den frischen
Wind, den die vier in die Welt tragen; ihm wird klar, dass es dabei nicht
ausschließlich um Musik geht, sondern dass eine Ära eingeleitet wird, in der
man sich gegen eingestaubte Moralvorstellungen wehren und für alternative
Lebensentwürfe entscheiden kann. Er denkt sich: Wenn man, wie die Beatles, mit
Musik so viel bewegen kann in den Menschen - und Musik in der Lage ist, auch
mit mir so viel zu machen, dann will ich auch Musiker werden. Kurz darauf
wünscht sich Joachim von seinen Eltern eine Gitarre. Und er bekommt sie auch.

Für kurze Zeit nimmt der 16-Jährige freiwillig Gitarrenunterricht - für
Joachim, der schon als Jugendlicher alle Autoritäten ablehnt, ein großer
Schritt, der ihn viel Überwindung kostet. Allerdings kann er die ihm
beigebrachten angeblichen Volkslieder und vor allem seinen Gitarrenlehrer nicht
ausstehen; Witt findet alles nur noch widerlich, morbide, arm. Nach einem
Vierteljahr hat er die Nase voll und bricht den Unterricht ab. Aber zumindest
weiß er nun, wie man das Erlernen eines Instruments angeht und beschließt, sich
Griffe und Anschlagtechniken selbst beizubringen. Es dauert nicht lange, bis in
ihm der Wunsch nach einer eigenen Gruppe aufkeimt.

Joachims erste Schülerband ist ein seltsames Konstrukt: Die Gruppe agiert nicht
nach außen, sondern funktioniert wie ein Geheimbund, der die Beatles imitiert.
Jedem Mitglied wird die Identität eines Pilzkopfs zugewiesen - und es geht
nicht um äußerliche Ähnlichkeiten, sondern um möglichst viele gemeinsame
Charakterzüge mit einem der vier Liverpooler. Joachim ist, obwohl er nicht
Schlagzeug, sondern Gitarre spielt, der Ringo Starr der Truppe. Warum, kann er
sich nicht genau erklären. Vielleicht ist es seine Mischung aus Melancholie und
Humor, die die anderen an den singenden Drummer aus Liverpool erinnert. Die Jungs
bauen einen Keller zum Proberaum aus und hängen zur Schallisolierung
Eierverpackungen an die Wände. Gespielt werden anfangs nur Songs der Fab Four,
später kommen Titel der Rolling Stones dazu. Witt ist unüblicherweise Fan
beider Bands, eine Entscheidung zwischen Beatles und Stones lehnt er im
Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen ab. Joachims Gruppe hat einen
Nachteil: Er und der Schlagzeuger sind die einzigen Bandmitglieder, die ein
Instrument beherrschen - die anderen tun nur so, als würden sie etwas spielen.
Es ist eine reine Spaßveranstaltung - auf die Dauer zu wenig für Witt.

Er beschließt, zwei weitere Gitarristen und einen Bassisten in die Band zu
holen und die Proben auf den Dachboden seiner Schule zu verlegen - genehmigt
von der Lehrerschaft, die sich als Gegenleistung Auftritte der Gruppe bei
Schulveranstaltungen verspricht. Joachim hat jetzt seine erste richtige Band,
die sich - nach einigem Kopfzerbrechen - The Scalesmen nennt. Die
Nachwuchsmusiker haben zwar keine Ahnung, was das bedeutet, aber - es klingt
spannend und wirft Fragen auf. Genau das mag Witt daran.

Die Scalesmen und ihre primitive Ausrüstung kosten ihn fast das Leben. Die
archaische Mischung aus alten Miniverstärkern, missbrauchten Radiogeräten,
losen Kabeln und billigen Mikrofonen entwickelt - wie auch immer - einen
hochenergetischen Stromkreis, den Joachim versehentlich schließt, als er mit
einem Mikro in der Hand eine Saite der Bassgitarre berührt. Er spürt den
massiven Stromschlag bis in sein Herz, kann sich nicht bewegen, sackt in sich
zusammen. Erst, als der Bassist nach quälenden Sekunden sein Instrument
wegreißt, kommt Witt wieder auf die Beine. Er kann sich nicht erklären, was
passiert ist, bricht die Probe ab, hält es aber nicht für nötig, einen Arzt
aufzusuchen. Dennoch hinterlässt diese Erfahrung
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