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Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Titel: Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Thomas Bleskin
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das
Material - ungewöhnlicherweise - im Beisein des Künstlers anhört, findet kaum
Worte für seine Begeisterung, er spricht vom «nächsten großen Ding» und sagt
dem überraschten Witt, das Tape enthalte die besten deutschen Songs, die er je
gehört habe. Witts  Euphorie kennt in diesem Moment keine Grenzen - aber
Köpke ist eben nur Assistent. Sein Vorgesetzter, der leitende Talentscout Killy
Kumberger, hat Bedenken und will die Meinung der ganzen Mannschaft hören.
Joachim ist zu dem Meeting nicht eingeladen, er muss zuhause am Telefon auf die
Entscheidung warten. Auf die Euphorie nach dem Gespräch mit Köpke folgt für
einige Stunden nackte Existenzangst - bis der Anruf kommt. Danach hat Joachim
einen Deal mit WEA in der Tasche.

In René Tinner, einem Schweizer Produzenten, der mit Duesenberg an ihrem
dritten Album gearbeitet hatte, findet Joachim den idealen Partner für die
Erstellung von «Silberblick». Tinner ist nicht nur ein versierter Techniker,
sondern - und das ist für Witt das Entscheidende - ein einfühlsamer, ruhiger
und äußerst intelligenter Zeitgenosse, dem er sich bedingungslos anvertrauen
kann. Zweiter wichtiger Punkt ist, dass Tinner das Studio der Band Can
betreibt, die Joachim so bewundert. Der Schweizer gibt zu bedenken, dass er in
seinen Studioräumen in Weilerswist bei Köln nur über ein kleines Mischpult
verfügt, das den Ansprüchen einer Plattenproduktion nicht gerecht wird. Witt
aber ist das egal - er will die Magie des legendären Studios spüren, seine Aura
aufsaugen und «Silberblick» damit den entscheidenden Hauch Energie geben, den
er bei seinen Demos aus Gutowskis Wohnung noch vermisst.

Harry hatte Duesenberg zusammen mit Witt verlassen, daher liegt es für Joachim
nahe, seinen Kumpel als Bassisten für «Silberblick» mit ins Boot zu holen. Dass
Jaki Liebezeit, der Drummer von Can, auf dem Album spielt, ist hauptsächlich
dem Umstand geschuldet, dass dieser mit Tinner befreundet ist und über dem
Studio seine Wohnung hat. Der Aufnahmeraum - ein umfunktionierter alter
Kinosaal - beflügelt Witts Arbeitseifer. Er liebt die hippieartige Ausstattung,
die einfachen Matratzen an den Wänden für die Schalldämpfung, das sperrmüllreife
Sofa, die antike Kinokasse, die alten Instrumente von Can. Gerüchten zufolge
macht im Studio auch der eine oder andere Joint die Runde.

Jaki Liebezeit ist für die Songs auf «Silberblick» eine echte Bereicherung. Der
Krautrocker ist nicht an Songstrukturen gewöhnt, er kommt aus dem freiem Jazz,
hatte mit Can jahrelang an hypnotischen Soundteppichen gefeilt, um jede
Ähnlichkeit mit bereits existierender Musik zu vermeiden. Dieses anarchische
Kunstverständnis belebt die Stücke auf «Silberblick» ungemein: Beim eigentlich
gradlinigen «Kosmetik» beispielsweise betont Liebezeit nicht etwa den Auftakt,
wie es üblich wäre, sondern setzt seinen Beckenschlag einen Vierteltakt früher.
Um den Kunstfaktor seines Solodebüts noch weiter zu erhöhen, holt sich Witt den
Artrocker und Synthesizerspezialisten Harald Grosskopf ins Studio. Er soll mit
seinem nagelneuen ARP Odyssey all jene elektronischen Momente füllen, für die
Joachims Spielzeugorgel von Casio nicht ausreicht. Die Gitarren spielt Witt auf
«Silberblick» alle selbst - seinen autodidaktisch trainierten harten Anschlag
kann kaum einer der Musiker nachspielen – geschweige denn toppen. Für die
richtige Soundfarbe kommt dementsprechend auch nur seine Fender Telecaster
Baujahr 1959 in Frage. Zusammen mit Witts theatralischen Gesang und Tinners
kleinem Allan & Heath-Mischpult - das eigentlich nur für Liveauftritte
gedacht ist - wird «Silberblick» zu einem Meilenstein der deutschen Popmusik.
Witt ist von dem Ergebnis der Aufnahmesessions zu hundert Prozent überzeugt.
Seine große Angst ist nun, dass ihm beim Endmix der Platte jemand von der
Plattenfirma dazwischenfunken könnte. Also geht er auf Nummer sicher: Er
überspeilt alle Spuren zusammen mit den von ihm ausgewählten Effekten. Das hat
zur Folge, dass beispielweise die Gitarrenspuren bereits Hall, Delay und Chorus
enthalten - und damit im Nachhinein quasi nicht mehr bearbeitet werden können.

Der gesamte Entstehungsprozess von «Silberblick» ist von starken Ängsten und
Selbstzweifeln überschattet. 1976 war Witt Vater geworden, seither stellt er
sich immer wieder dieselben Fragen: Werde ich jemals von meiner Musik eine
Familie ernähren können? Habe ich die falsche Entscheidung getroffen? Handle
ich unverantwortlich?
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