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Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)

Titel: Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Thomas Bleskin
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«Goldenen Reiters» wie ein überhitzter Roboter, der um sein
Leben tanzt. Und irgendwie entspricht das ja auch der Wahrheit.

Zweiter Akt.
So hoch auf der Leiter

Die kommenden Monate gehören Joachim Witt und seinem «Goldenen Reiter». Die
Single will die Hitparade einfach nicht wieder verlassen; im Februar 1982
klettert sie bis auf Platz 2 der Charts. Die Spitzenposition erreicht der Song
zwar nicht, findet aber in den  29 Wochen seiner Chartnotierung den Weg in
400 000 Haushalte. Das Album «Silberblick» legen sich 240 000 Fans zu. Joachim
ist einer der größten Stars einer Bewegung, die Neue Deutsche Welle genannt
wird, obwohl er selbst den Begriff nicht besonders mag. Witt spricht lieber von
neuer deutscher Musik - er sieht sich und die mit ihm artverwandten Künstler
zwar als Strömung, lehnt die Schublade NDW allerdings ab. Er kann sich schon
denken, dass diese Katalogisierung irgendwann nach hinten losgehen wird. Der
plakative Begriff war Jahre zuvor als Reklametext für DAF erfunden worden,
inzwischen muss er für alles herhalten, was einigermaßen neu und
deutschsprachig ist. Selbst Kraftwerk und ihr wiederveröffentlichtes «Model»
bekommen diesen Stempel aufgedrückt. Witt spürt daher nicht nur Euphorie, wenn
der «Goldene Reiter» immer und immer wieder in einem Atemzug mit der Neuen
Deutschen Welle genannt wird. Die NDW ist ein Paradebeispiel für den Ausverkauf
einer Avantgarde, die sich mit ihrer Industrialisierung und der damit
einhergehenden Banalisierung selbst abschafft.

Joachim erinnert sich an die Worte von Frank Zappa: «Ohne die Abweichung von
der Norm ist Fortschritt nicht möglich.» Witt hat trotz des Megaerfolgs seiner
zweiten Solosingle die Angst, im Mainstream zu verschwinden und seine
Einzigartigkeit als Künstler zu verlieren. Die ewige Ablehnung des Normalen,
die ewige Opposition gegen Vorgegebenes trifft mit einem Mal - wie paradox! -
das eigene musikalische Schaffen. Und das, obwohl er sich auf der anderen Seite
den Erfolg so sehr gewünscht hatte, um als Musiker sein Leben bestreiten zu
können. Ambivalenter kann eine Beziehung zur Kunst kaum sein - Joachim merkt,
dass diese Beziehung auch gewisse schizophrene Züge hat. Die Angst vor äußeren
Zwängen, die ihn bereits in der Schule so geplagt hatte, erfasst ihn schon
wieder.

Grund dafür hat Joachim eigentlich nicht: «Silberblick» besteht schließlich
nicht nur aus seinen Singles «Kosmetik» und «Goldener Reiter», sondern enthält
als weitere Highlights etwa die comichafte Fortschrittskritik «Ich hab so Lust
auf Industrie» und den sphärischen Neunminüter «Sonne hat sie gesagt», den Witt
so arrangiert, als hätten sich die kommerzunverdächtigen Can an einen
überlangen Popsong getraut. «Silberblick» ist ein in sich geschlossenes
Gesamtkunstwerk, dass dem Zeitgeist im Grunde nicht entsprechen dürfte: Weder
angesagter Punk noch die aufkeimende New Wave inspirieren Witt, sondern neben
Beat und Krautrock vor allem David Bowie, Lou Reed und Roxy Music - Allesamt
Acts, die durch ihr eigenständiges Gesamtwerk und ihre unverwechselbare
Ästhetik glänzen. Punk ist für Joachim sogar - trotz einiger Berührungspunkte -
nur noch tongewordene Gewalt, die er emotional nicht ertragen will. Witt sieht
sich höchstens als inhaltlichen Punk - aber bitte ohne die Verpackung.

Mit dem Erfolg von «Silberblick» kehrt in Joachims Leben etwas innere Ruhe ein.
Bei allen Bedenken hinsichtlich der künstlerischen Eigenständigkeit - die
Anerkennung des Publikums und die langersehnte finanzielle Sicherheit geben ihm
die Kraft, sich voller Zuversicht seinem zweiten Album «Edelweiß» zuzuwenden,
das er wegen des ganzen Rummels um den «Reiter» noch nicht ganz fertiggestellt
hat. WEA entscheidet sich zudem, die Platte so lange nicht zu veröffentlichen,
bis die Verkaufszahlen von «Silberblick» merklich zurückgehen. Joachim kann
sich jetzt seine Arbeitszeit einteilen, wie er mag. Das Konzept «Wochenende»
kennt er zwar nicht, er arbeitet fast jeden Tag, aber selten länger als ein
paar Stunden am Stück. Im Achtstundentakt an fünf festen Tagen in der Woche
funktioniert er nicht; allein schon der Gedanke daran lähmt in Witt jeden
künstlerischen Ansatz. Für ihn sind Wochenenden und Urlaub verordnete Pausen,
wie er sie seit seiner Kindheit hasst. Endlich kann Joachim so leben, wie es
ihm gefällt. Und mit den Erfahrungen seiner Schulzeit abrechnen. Natürlich auf
wittsche Art und Weise.

«Äi, lasst das sein, Kinder, ihr
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