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Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
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etwas nach außen wölbte. Die Daumen konnten dabei das innere Lippenpaar vertreten. Im Unterschied zu den äußeren, satten, waren die inneren Lippen zart und rosig, nicht glatt, sondern leicht furchig. Sie schürzten um die Klitoris ein kleines Schnäuzchen auf, zogen sich weiter unten jedoch ganz in den Schutz ihrer großen, dicken Schwestern zurück. Auch sie waren in seiner Fantasie geöffnet und bildeten so den glänzenden, unvergleichlich schmeichelnden Eingang zur ältestenHöhle der Menschheit. Wie schön wäre es, dachte Opitz, wenn wir durch dieses Tor nicht nur auf die Welt kämen, sondern sie so auch wieder verlassen könnten. Derart deutlich und lebensnah sah er die Vulva seiner Frau vor sich, dass er sich zwischen der Lust, sie zu betrachten, und der, in sie einzudringen, nicht entscheiden konnte. Kein Buchstabe gab ein Bild von ihrer vollendeten Form, keine Frucht ähnelte wirklich dem offenen Schoß der Frau. Zwischen seinen Beinen machte sich Hitze breit. Nur einmal rieb er gedankenverloren über seine gegen den Hosenlatz gepresste Eichel. Im Unterschied zu einem Schwanz schien die Sehnsucht immer weiter wachsen zu können.
    Um sich ein wenig abzulenken, schaltete Opitz den Fernseher ein. Es lief gerade eine Castingshow. Die Talentsuche war letztlich ein Vorwand für eine Kette von Witzen, deren Niveau Opitz kaum anders erschien als das der intellektuellen Späße in der ARD. Die Show gab sich eben direkter und proletischer. Auch sie war auf einen Alpha-Mann zugeschnitten, nur dass dieser sich die Haare färbte und sein Gesicht viel verlebter aussah als das des Silberrückens. Er redete gern über die Schlüpfer junger Mädchen und nutzte die mangelnde TV-Erfahrung der jungen Kandidaten schamlos aus. Das Prinzip war bei beiden Sendungen ähnlich. Spießertum und Besserwisserei, dazu ein gehöriger Schuss Elitarismus beziehungsweise Protz und eine Verklemmtheit, die schlimmer war als in den Schulmädchenreports der Siebzigerjahre.Die ganze Wahrheit über den Menschen, dachte Opitz, ließ sich in einem Sätzchen sagen: Er ist ein Tier. Entweder das, oder die Wahrheit war unaussprechlich. So viele Diskussionen hatte er schon mit Anna darüber geführt. Sie waren sich einig, dass der Mensch die scharfe Trennlinie zum Tier einst gezogen hatte, weil er sich seiner Andersartigkeit erst noch versichern musste. Das hatte sich geändert. Für Anna folgte daraus, dass es Zeit war, in den Tieren gleichberechtigte Mitgeschöpfe des Menschen zu sehen, denen Würde und Freiheit garantiert werden musste. Opitz konnte das nur zum Teil nachvollziehen. Die Auswüchse der modernen Tierhaltung mit ihren schlimmen Haltungsbedingungen und quälenden Transporten über halbe Kontinente stießen ihn ebenso ab wie die Massenerschießung von Bisons oder das Verheizen von lebenden Pinguinen in Tranöfen im neunzehnten Jahrhundert. Ab und zu aß er jedoch selbst gern eines seiner Mitgeschöpfe. Für ihn bedeutete die Wesensgleichheit von Mensch und Tier eher eine Herabstufung des Menschen. Wenn man ehrlich war, nahm der Homo sapiens sich zu viele Rechte, zu viel Würde. Er hatte genauso viel oder wenig Anspruch darauf, nicht von Löwen gejagt zu werden wie umgekehrt. Allerdings sprach Opitz diese erschreckenden Gedanken niemals aus.
    Die Anstrengungen des Tages machten sich endlich mit Macht bemerkbar. Opitz hatte den Blick längst vom Bildschirm abgewendet. Mit dem Bild von Annasgroßen, ebenmäßigen Zähnen und kräftigen Lippen vor seinem inneren Auge schlief er ein.
    Sein Schlaf dauerte nicht lang, erfrischte ihn aber. Als er wieder aufgewacht war, nahm Opitz das nachmittags gekaufte Buch zur Hand. Beim ersten Lesen war ihm bereits klar geworden, dass er zur Durchführung des Spiegelexperiments nicht die nötigen Gegenstände im Haus hatte. Er würde es mit dem Standspiegel probieren. Eigentlich sollte man sitzen, aber das ging nun nicht.
    Es war vollkommen still im Flur. Das Licht war ihm zu gelb. Er konnte nichts dagegen tun. Opitz stellte sich seitlich zur Spiegelfläche, seine Brust berührte den Rahmen, sein linker Arm blieb dem Spiegel verborgen. Opitz hob den Blick, bis sein vor dem Spiegel befindlicher rechter Arm im Spiegelbild die Stelle des linken vertrat. Das Gesamtbild war körperähnlich. Er sah komplett aus, nur seine Brust war beinah doppelt so breit.
    Nun hob er die rechte Hand, im Spiegel also die linke. Opitz begann mit kleinen Bewegungen zu dirigieren. Wie er es sich gedacht hatte, passierte überhaupt
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