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Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
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Er sog die Luft durch die Nase ein wie ein Witterung aufnehmender Hund.
    «Es ist besser, wenn ich es dir sage. Die Windofen-Erzählungen.»
    «Die sind in der Ausgabe gar nicht drin.»
    «Ich weiß. Aber ich dachte, dass vielleicht noch ein Supplementband… Jedenfalls musst du sie kennen. Vielleicht hast du es längst selbst bemerkt. Für meinen Prosaband habe ich damals ein paar Motive aus Sumarows Texten übernommen. Sein Ideen waren mit meinen praktisch identisch. Da hatte ich gar nicht das Gefühlzu klauen. Ich habe nicht einfach abgeschrieben, eher die Stoffe verwendet. Die Szene in ‹Schneestarr›, in der Natascha auf dem Bären davonreitet, wurde bei mir zu der Szene, in der Monika mit dem Motorrad auf den gefrorenen See rausfährt. Das ist ein eher dezentes Beispiel, ich geb’s zu.»
    Opitz wirkte noch zerknirschter als vorhin. Mundt fragte sich, warum er so ein Drama aus dieser Sache machte. Es erinnerte sich doch kein Mensch an seine Geschichten.
    «Ich habe einiges vom dichtenden General übernommen. Das war nicht richtig. Ich benutzte die französische Ausgabe der Erzählungen. All die Jahre habe ich mich damit beruhigt, dass es nicht zu einer Überschneidung kommen konnte, weil Sumarow nicht ins Deutsche und ich überhaupt nicht übersetzt war. – Bitte erzähl niemand davon. Sonst bin ich als Journalist geliefert.»
    Dass die Schere zwischen Realität und Selbsteinschätzung bei dem kranken Mann so weit auseinanderklaffte, hätte er nicht gedacht. Opitz hätte die gesamte Bibel abschreiben und behaupten können, sie wäre von ihm. Niemanden interessierte das. Er kam Mundt vor wie ein Schaf, das seit zwanzig Jahren um seinen Pflock herumlief und glaubte, es bereise die Welt. Interessant war an seinem Geständnis nur, dass ausgerechnet er, der so ein ungnädiger Kritiker sein konnte, weder Vertrauen in seine eigene Kreativität setzte noch Respekt für die anderer Menschen aufbrachte. Opitz war nichts als ein mieser kleiner Plagiator. Diese Betrachtung gab Mundt eine boshafte Idee ein.
    «Malst du eigentlich noch?»
    «Was? Ich hab doch noch nie gemalt!»
    Opitz schaute ihn so erschreckt an, als müsste er den nächsten Diebstahl zugeben.
    «Ich erinnere mich genau.»
    «Du meinst während des Studiums? Das war nichts Ernsthaftes.»
    «Ich möchte dir raten, eine Wörterpause einzulegen. Versuch jetzt nicht mit Gewalt, etwas Originelles zu schreiben. Mal lieber ein paar Bilder.»
    Opitz schien nicht zuzuhören.
    «Weißt du, was ich mich immerzu frage?», sagte er. «Warum sich außer mir eigentlich niemand anscheißt. Die meisten Leute klauen doch bei anderen.»
    «Du könntest dabei eine Stange Geld verdienen.»
    «Wie soll ich denn mit dieser Hand malen? Die fühlt sich an wie ein Klodeckel!»
    Er wedelte damit behutsam vor Mundts Gesicht herum.
    «Nimm die gesunde.» Brutalität war der kürzeste Weg, um sein Gejammer zu beenden. «Ich meine es ernst. Pass auf, es geht um Folgendes: Ich will eine Galerie aufmachen, mit Bildern von Jim. Mit dem Geld, das sie einbringen, kann ein Beitrag zum Schutz der Orang-Utans geleistet werden. Anna hat mir gesagt, dass Jim manchmal wochenlang nicht produktiv ist.Fürs Geschäft braucht man aber Kontinuität. Ich dachte, wenn du ab und zu die Hand in Farbe tunkst und ein bisschen rumschmierst … bei ausgeschaltetem Licht sozusagen. Mehr sollst du gar nicht machen.»
    «Wieso die gesunde?»
    «Hä?»
    «Wieso die gesunde Hand?»
    «Hast du nicht gesagt, dass es mit der kranken nicht geht? Ich will jetzt nicht deine Hand diskriminieren. Du kriegst selbstverständlich eine Umsatzbeteiligung. Der große Batzen ist aber für die gute Sache.»
    «Lass doch mal deinen Bart in Ruhe.»
    «Anna ist auch dafür. Die Sache ist so gut wie risikofrei.»
    «Wo ist Anna eigentlich?»
    Dass sein Vorschlag an Opitz vollständig abprallte, regte Mundt plötzlich auf. Wütend schrie er: «Die liegt noch im Bett.»
    Opitz schien mit aufgerissenen Augen nach innen zu schauen, als merkte er gerade erstaunt, dass ihn eine Lanze durchbohrt hatte.
    «Ihr wart miteinander im Bett? Ich nehme an, dass Anna mit ihrem volltönenden Stöhnen den Himmel zum Schwingen gebracht hat. Sie ist eine wunderbare reife Frau, die niemandem gehört außer sich selbst, stimmt’s? Weißt du, was sie zu dem Journalisten sagte, der sie neulich für Landlust interviewt hat? ‹So wie ich schaut man mit siebenundvierzig aus, wenn man seinen Körper respektiert. Sie sagen, ich schau aus wievierzig? Nein, ich
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