Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
Vom Netzwerk:
Zweck natürlich.»
    «Welche Galerie eigentlich?»
    «Habe ich dir das noch nicht erzählt? Den ganzen Nachmittag denke ich an nichts anderes.»
    Mundt erläuterte sein Konzept, Jims Bilder zu verkaufen und damit eine Rettungsstation auf Sumatra zu unterstützen. «Du hast völlig recht», schloss er. «Ob das Kunst ist oder nicht, ist schnurzegal. Hauptsache, wir können helfen.»
    «Das Problem ist nur, dass Jim nicht kontinuierlich malt. Ich glaube fast, es muss ein gewisser Leidensdruck vorhanden sein. Lach mich jetzt nicht aus!»
    Er lachte nicht.
    Die Dämmerung war fast vorüber, und sie fröstelten in der schon herbstlichen Nachtluft. Anna erinnerte sich, dass sie ihr Bettzeug nach draußen holen wollte. Mundt spürte, dass er sie lieber alleinlassen sollte. Er hatte sich eine Überraschung aufgehoben und zog nun ein kleines Päckchen aus der Jackentasche.
    «Hab ich Geburtstag?»
    Erwartungsvoll riss Anna das bunte Papier auf. Sie fand darin eine purpurrote, fein gestrickte Mütze.
    «Was ist das denn?»
    «Eine Nachtmütze.»
    Anna lachte hell auf. Sie betrachtete das Teil von allenSeiten, bevor sie es endlich mit einer ironisch-bedeutungsvollen Geste über die Ohren streifte. Tobias ließ sich auf die Matratze sinken. Anna beugte sich über ihn.
    «Warum bist du nur so ein furchtbar großer Mundt?»
    «Damit ich dich besser küssen kann.»

Mittelfinger
    Mundt war gerade im Begriff zu gehen, als Opitz zur Tür reinkam. Der Ärmste fühlte sich am Ende seiner Kräfte, er wäre Mundt beinahe in die Arme gesunken. Dieser hielt ihm zerstreut seinen Fahrradhelm entgegen. Opitz packte ihn. Beide hielten sie fest. Auf einmal mussten sie grinsen. Mundt erklärte ungefragt, er habe Anna geholfen, das Gartenbett aufzustellen. Er erzählte auch von dem gestohlenen Brett und wie er es Jim wieder abgejagt habe. Zum zweiten Mal an diesem Tag rechtfertigte er seine Anwesenheit. Opitz achtete nicht darauf. Er war so mit sich beschäftigt, dass er das Gartenbett vergessen hatte. Es handelte sich also um ein Bett für draußen. Er konnte sich nicht erklären, was Anna damit wollte. Seit vielen Jahren stand ihr Bett im gemeinsamen Schlafzimmer; sie hatten gerade neue Matratzen gekauft. Er fühlte einen tiefen Schmerz. Die Klammer, die ihn mit Anna so lange fest verbunden hatte, zersprang. Etwas klang inihm auf, als würden die eisernen Stücke zu Boden fallen. Anna war draußen, er drinnen. Gleichzeitig wusste Opitz, dass sie weiterhin das Zentrum bilden würde, um das alle sich gruppierten. Letztlich war er es, der draußen blieb.
    Mundt fühlte sich von dem zerstreut wirkenden Freund vernachlässigt.
    «Ich hau dann mal ab», sagte er laut. Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: «Du siehst aus, als ging’s dir nicht gut. Vielleicht solltest du dich hinlegen.»
    «Ich muss dir etwas sagen.»
    Opitz winkte Mundt, ihm zu folgen. Im Wohnzimmer bot er ihm einen Scotch an, schenkte sich selbst auch einen ein, ließ das Glas aber stehen und trank stattdessen Wasser aus der Flasche. Mundt fiel wieder auf, mit welcher Vorsicht Opitz seine kranke Hand benutzte. Jede Handlung wurde im Voraus überprüft und nur ausgeführt, wenn sie unumgänglich war. Er fragte sich, was Opitz zu sagen hatte. Zunächst schien er vollauf damit beschäftigt, den Hals der Wasserflasche mit seiner gesunden Hand zu würgen, sie zu schütteln und anschließend die Kohlensäure zischen zu lassen. Mundt schwankte innerlich zwischen Mitleid und der plötzlichen Lust, ihn anzugreifen, ihm den kranken Arm auf den Rücken zu drehen, ihm das Knie auf die Brust zu setzen, wenn er am Boden lag, und mit beiden Fäusten auf ihn einzuschlagen. Merkwürdige Fantasie, dachte er, während er von seinem Scotch trank. Auch Opitz nahm nun einen Schluck.
    «Heute Nachmittag …»
    Seine Stimme schwankte, er blieb stecken. Ich komm dir nicht entgegen, dachte Mundt, die Keule musst du selbst schwingen. Er glaubte, dass Opitz ihn wegen Anna zur Rede stellen würde.
    «…ich war dort.»
    Das Stammeln schien Opitz anzustrengen. Schnell kapierte Mundt, dass es hier um etwas anderes ging.
    «Bei Thalia», half er.
    Opitz nickte erleichtert.
    «Gefällt dir der Sumarow? Ich bin da Mitherausgeber.»
    War nicht zu übersehen, hätte Opitz normalerweise erwidert. Aber er sagte etwas anderes.
    «Ich habe bei ihm abgeschrieben.»
    Spontan lag es Mundt auf der Zunge zu fragen: Alle fünf Bände? Seine Anspannung verschwand im Nu. An ihre Stelle trat eine besondere Aufmerksamkeit.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher