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Jesus liebt mich

Jesus liebt mich

Titel: Jesus liebt mich
Autoren: David Safier
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sein!
    Aber allein der Gedanke, dass ich richtig gesehen haben könnte, sendete solche Schockwellen durch den Körper, dass die Verbindung zwischen Hirn und Beinen wieder funktionierte, Letztere hörten den Befehl des Hirns: «Springt, sonst ist Orangenhaut euer kleinstes Problem!» Meine Beinmuskeln spannten sich zum Sprung, der Wagen war nur noch wenige Meter entfernt, und anstatt zu bremsen, stopfte der Fahrer eine Tüte Haselnüsse in sich rein, was sein Gesicht anschwellen ließ. Ich sprang, so weit ich konnte, also etwas unter zwei Meter. Der Wagen verlor endgültig die Kontrolle und knallte gegen einen Laternenpfahl, keine vierzig Zentimeter von mir entfernt.
    Ich stand auf, was schmerzhaft war, hatte ich doch an den Beinen Schürfwunden. Kaum hatte ich den ersten Schreck abgeschüttelt, blickte ich in das Führerhaus. Der Fahrer war unversehrt, jedenfalls vom Unfall, ansonsten sah er dank der Allergiebeulen und des manischen Kratzens aus wie jemand, mit dem nicht mal der Elefantenmensch in der Öffentlichkeit gesehen werden möchte.
    Ich hoffte für ihn, dass Joshua bald zu ihm vordringen würde, und humpelte weiter in Richtung Eisdiele. Ich musste wissen, ob meine Familie – und ja, zu der zählten jetzt irgendwieauch Swetlana und ihre Tochter – sich in Gefahr befand. Ich wich einem jungen Mann aus, der sich einen Gürtel aus Flaschen mit Düngemittel basteln wollte, aber nicht genau wusste, wie er das anstellen sollte, und auch einer Frau, die ihrem Gatten immer wieder auf die Weichteile sprang und dabei schrie: «Gleich bist du sterilisiert!»
    Ich war froh, dass sich die meisten aggressiven Leute nicht um mich kümmerten, waren sie doch viel zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Kämpfe auszutragen. Es war ein mittleres Wunder, dass noch niemand gestorben war, und wohl nur noch eine Frage der Zeit. Da baute sich plötzlich ein Mittfünfziger vor mir auf und sagte: «Am liebsten habe ich Zwanzigjährige   …»
    «Dann sind Sie bei mir ganz offensichtlich zu spät», antwortete ich und wollte an ihm vorbei, doch er ließ mich nicht durch.
    «…   aber die kann ich nicht einfangen.»
    «Einfangen?»
    «Aber du bist auch noch ganz knackig», stellte er fest, und ein leichter Sabber lief aus seinem Mundwinkel.
    «Ganz im Gegensatz zu dir», erwiderte ich, wollte wieder vorbei, aber er stellte sich mir erneut in den Weg.
    «Ich steh auch auf Mollige», erklärte er und packte mich. Ich wusste nicht, was mich wütender machte, dass dieser Kerl mich anfasste oder dass er mich «mollig» nannte, jedenfalls erwiderte ich: «Dann geh doch zu Mutter Beimer!»
    Dabei trat ich ihm gegen das Schienbein. Er schrie auf, und ich rannte davon, so schnell mich meine gequälten Füße und geschundenen Beine trugen. Dankenswerterweise war der alte Knacker auch nicht der Schnellste. Unser Verfolgungsrennen durch die brennende Fußgängerzone war daher sicherlich eines der langsamsten in der Geschichte derKatastrophengebiete. Schließlich wurde der Mann von zwei Zeugen Jehovas aufgehalten, die mit ihm mal in Ruhe über Gott reden wollten und ein «Nein danke» nicht mehr als Antwort akzeptierten.
    Ich rannte weiter in Richtung Eisdiele, wo sich die beiden kleinen Mädchen an den Tischen draußen im aufgeschütteten Sand schlugen, kratzten und bissen, weil Lilliana unbedingt das Lipgloss von ihrer Freundin haben wollte. Mama Swetlana war dies egal, sie war viel zu sehr damit beschäftigt, mit einem abgeschlagenen Pellegrino-Flaschenhals wahllos auf Männer zuzugehen, sah sie wohl in jedem von ihnen einen potenziellen Freier, während mein Vater meine Mutter würgte und sie dabei anschrie: «Wegen dir war ich zwanzig Jahre unglücklich!» Gerade wollte ich die beiden voneinander trennen, da sah ich, dass Gabriel auf dem Dach des vierstöckigen Hauses gegenüber stand. Er breitete die Arme aus, so als ob er fliegen wollte. Er war ein Mensch, aber irgendetwas hatte in ihm das unstillbare Verlangen hervorgerufen, wieder einmal fliegen zu wollen, auch wenn es ihm dafür doch etwas an Flügeln mangelte. Ich wusste gar nicht, wen ich zuerst an seinen Aktionen hindern sollte: die prügelnden Kinder, die durchdrehende Swetlana, den würgenden Papa oder den potenziellen zukünftigen Fettfleck. Da kam Joshua hinzu und nahm mir die Entscheidung aus der Hand. Er überzeugte mit sanften Worten Gabriel, von der Dachkante wegzutreten, linderte mit Handauflegen die Wut meines Vaters und die von Swetlana und brachte die beiden Mädchen
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