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Jesus liebt mich

Jesus liebt mich

Titel: Jesus liebt mich
Autoren: David Safier
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wie
ein Verrückter Sport, aß nur Karotten und trank Energydrinks, die synthetischer schmeckten als die Polyesterhemden, an deren Ärmeln er immer vor lauter Unsicherheit knabberte. Schließlich war Dennis rank und schlank, aber er verspürte immer noch Hunger, den er nie mehr richtig stillte, aus Angst, wieder so auszusehen wie zuvor. Aber jetzt, als Reiter namens Hunger, sah er plötzlich, dass alle Menschen ein Verlangen in sich spürten, das sie im Leben nicht stillen konnten. Die einen sehnten sich nach Liebe, andere wiederum nach Geld, Sex oder auch nur nach vollem Haupthaar. Dieses ganz persönliche unstillbare Verlangen, das ein jeder Mensch unterdrückte, konnte Dennis nun durch seine pure Anwesenheit an die Oberfläche bringen. Ein Mittfünfziger nannte seine Frau, mit der er seit 35   Jahren verheiratet war, «Gammelfleisch» und stellte dann Zwanzigjährigen nach, die bauchnabelfreie Tops trugen. Single-Frauen klauten Babys aus Kinderwagen, eine völlig erschöpfte alleinerziehende Mutter ließ dies gerne zu, die ortsansässige Weight-Watcher-Gruppe plünderte Süßwarenabteilungen, Grundschüler Handyläden und überraschend viele Männer Boutiquen, um sich Frauenkleider anzuziehen. Außerdem entdeckte ein Biedermann, der bis dato seine Neigung zur Pyromanie nie ausgelebt hatte, hocherfreut die leichte Entflammbarkeit von denkmalgeschützten Fachwerkhäusern.
     
    Über dem Inferno kreiste auf einem brennenden Ross der dritte apokalyptische Reiter namens Krankheit. Während Sven und Dennis ihre neue Macht wie im Rausch genossen, rang Kata noch mit sich, doch der Drang, der eigenen dunklen Seite nachzugeben, wurde immer stärker. Als ihr Pferd über dem Stadtkrankenhaus kreiste, konnte sie nicht mehr anders. Sie sauste hinab, genau auf das oberste Stockwerk zu, dessen Mauerwerk unter den Flammen des Rosses zerbarst. Die Patienten blickten
sie erschrocken und angsterfüllt an, doch Kata, die nun mit ihrem Pferd im Krankenhausgang stand, hatte nur Augen für die Ärzte, den Berufsstand, den sie so hasste. Den meisten von ihnen war ihr Leiden herzlich egal gewesen, und so rächte sie sich mit ihrer neuen Kraft: Sie konnte alle Krankheiten hervorrufen, die bereits dem Körper der jeweiligen Person innewohnten und eigentlich erst viel später ausbrechen sollten. Der Chefärztin verlieh sie eine Kombination von Diabetes und Parkinson, sodass es für sie keine Freude werden würde, sich die Insulinspritzen selber zu setzen. Bei dem Notarzt löste sie Fresssucht aus und dazu ein breites Spektrum an Lebensmittelallergien. Und dem jungen Assistenzarzt verpasste Kata Demenz und Inkontinenz gleichzeitig, sodass er Wasser lassen musste, sich aber nicht mehr erinnern konnte, wo sich die Toilette befand.
    Daran, Satan auszutricksen, dachte Kata jetzt nicht mehr, auch sie befand sich im Rausch der neuen Macht.
     
    Der einzige Reiter, der sich vornehm zurückhielt und auf seinem Ross weiterhin seelenruhig wie ein Todesgeier im Himmel über Malente kreiste, war der Tod. Er hatte immer noch die Gestalt von Marie und wartete darauf, dass sie das erste Todesopfer des Jüngsten Gerichts würde.

53
    Joshua eilte in Richtung Fußgängerzone, über der nun schwarze Rauchwolken emporstiegen. Mit seinem temporeichen Schritt konnte ich kaum mithalten. Scheißschuhe.
    Beim Anblick des entschlossen schreitenden Joshua konnte ich, trotz apokalyptischer Reiter und brennender Innenstadt, nur an eins denken: an den verpassten Kuss. Ich war unglaublich traurig, dass dieser magische Moment unterbrochen wurde. Dann wiederum erfüllte mich ein Glücksgefühl, weil Joshua mich wirklich erneut hatte küssen wollen, und gleich darauf sackte mein Herz so richtig in sich zusammen, weil ich befürchtete, dass für uns beide alles zu spät war, jetzt wo das Jüngste Gericht einen Frühstart hinlegte.
    «Wie kann das sein mit dem Jüngsten Gericht?», fragte ich Joshua, nach Luft schnappend. «Ich dachte, wir haben noch Zeit bis nächste Woche Dienstag? Und außerdem sind wir hier in Malente und nicht in Jerusalem.»
    «Unterschätze niemals die Macht und die Verschlagenheit Satans», antwortete Joshua ernst.
    «Ähem   …», mir kam ein beunruhigender Gedanke, «was passiert eigentlich, wenn der die Endschlacht gewinnt?»
    «Dann», so verkündete Jesus, «herrscht das Böse bis auf alle Ewigkeit.»
    Ich malte mir vor Angst zitternd aus, wie Mörder, Sadisten und Finanzinvestoren endgültig das Zepter in die Hand nehmen würden. Sie würden
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