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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika
Autoren: Tania Blixen
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und nicht ahnen, welcher Gefahren sie sich von uns versahen. Ich glaube, daß sie uns mehr fürchteten als einer, der plötzlich einen entsetzlichen Lärm hört, als einer, der Qual und Tod fürchtet. Aber es war schwer, draus klug zu werden, denn die Schwarzen sind groß in der Kunst der Verstellung. Frühmorgens in den Schambas kam es vor, daß ein Feldhuhn aufgescheucht vor meinem Pferde herlief, als sei ein Flügel gebrochen und als fürchte es, von den Hunden gepackt zu werden. Aber sein Flügel war nicht gebrochen, und es fürchtete die Hunde nicht, es konnte jederzeit vor ihnen aufflattern, es hatte nur seine Brut irgendwo in der Nähe und versuchte, unsere Aufmerksamkeit von ihr abzulenken. Geradeso wie der Vogel heuchelten die Schwarzen vielleicht Furcht vor uns aus einer anderen, tieferen Angst, deren Wesen wir nicht erraten konnten. Oder aber ihr Gehaben war nur ein wunderlicher Spaß, und in Wahrheit fürchteten uns diese scheuen Menschen überhaupt nicht. Die Schwarzen besitzen viel weniger als wir Weißen den Sinn für das Drohende im Leben. Zuweilen bin ich auf der Jagd oder auf der Farm in Augenblicken höchster Spannung den Blicken meiner schwarzen Begleiter begegnet und habe gespürt, wie wir einander fern waren und wie sie mein Vorgefühl von drohender Gefahr staunend betrachteten. Das brachte mich auf den Gedanken, daß sie vielleicht das Leben als ihr eigenstes Element empfinden, so wie wir es nie vermögen, wie Fische im tiefen Wasser, die um nichts in der Welt begreifen könnten, warum wir uns fürchten zu ertrinken. Diese Sicherheit, diese Schwimmkunst besitzen sie, dachte ich mir, weil sie sich ein Wissen erhalten haben, das uns in unseren frühesten Vorfahren verlorenging, das Afrika als einziger Kontinent uns wieder lehren kann: daß Gott und der Teufel eins sind, die ewige Macht, nicht zwei Unerschaffene, sondern ein Unerschaffener, und daß die Schwarzen weder die Personen verwechseln noch das Wesen zerteilen.
    Auf unseren Jagdzügen und auf der Farm entwickelte sich meine Bekanntschaft mit den Schwarzen zu einer festen persönlichen Beziehung. Wir wurden gute Freunde. Ich fand mich damit ab, daß ich sie zwar nie ganz kennen und verstehen würde, daß sie mich aber durch und durch kannten und die Entscheidungen, die ich treffen würde, bereits wußten, ehe ich selbst entschieden hatte. Eine Zeitlang hatte ich noch eine kleine Farm oben in Gil-Gil; ich kampierte dort in einem Zelt und fuhr mit der Bahn zwischen Gil-Gil und Ngong hin und her. Manchmal, wenn es zu regnen begann, beschloß ich ganz plötzlich, in Gil-Gil aufzubrechen und in mein Haus zurückzufahren. Wenn ich dann nach Kikuju kam, unserer Eisenbahnstation, von der es noch zehn Meilen bis zur Farm waren, stand einer meiner Leute mit einem Maultier da, auf dem ich heimreiten konnte. Fragte ich ihn, woher sie gewußt hätten, daß ich herunterkäme, dann blickte er wie gelangweilt oder verlegen zur Seite, so wie wir es tun würden, wenn ein Tauber von uns verlangte, daß wir ihm ein Musikstück erklären sollten.
    Wenn die Schwarzen sich bei uns sicher fühlten vor ruckhaften Bewegungen und plötzlichen Geräuschen, dann sprachen sie viel offener mit uns, als je ein Europäer mit einem anderen spricht. Man durfte sich nie auf das verlassen, was sie sagten, und doch waren sie im tieferen Sinne wahrhaftig. Ein schönes Wort, das Würde heißt, bedeutet viel in der Welt der Schwarzen. Sie vollzogen, schien es, irgendwann eine Gesamteinschätzung einer Person, von der sie später niemals wieder abwichen.
    Zeitweilig war das Leben auf der Farm sehr einsam, und an den stillen Abenden, wenn die Minuten aus der Uhr sickerten, schien das Leben selbst mit ihnen davonzusickern in lauter Sehnsucht nach einem weißen Menschen, mit dem man hätte sprechen können. Und doch fühlte ich immer das stille dämmerige Dasein der Schwarzen, das parallel mit meinem auf einer anderen Ebene verlief. Echos klangen von einem zum anderen.
    Für mich waren die Schwarzen Fleisch und Blut gewordenes Afrika. Der hohe erloschene Vulkan von Longonot, der sich über dem Rifttal erhebt, die breiten Mimosenbäume an den Flüssen, der Elefant und die Giraffe waren nicht wirklicher Afrika als die Schwarzen, die kleinen Spieler auf der gewaltigen Bühne. Sie alle waren verschiedene Gestaltungen der einen Idee, Variationen über dasselbe Thema. Es war nicht eine einhellige Masse mannigfacher Atome, sondern eine Mannigfaltigkeit von Gebilden aus einhelligen Atomen, so
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