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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika
Autoren: Tania Blixen
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jede wiederholte und systematische Behandlung – und diese war dem großen deutschen Arzt völlig unbegreiflich. Als ich dann selbst die Schwarzen kennenlernte, wurde mir gerade dieser Zug an ihnen einer der liebsten. Sie besaßen echten Mut, eine unverfälschte Liebe zur Gefahr, die mir die einzig richtige Antwort der Schöpfung auf die Verkündigung ihres Schicksals zu sein scheint, das Echo der Erde, wenn der Himmel gesprochen hat. Ich habe manchmal gedacht, ob nicht das, was sie im Grunde ihres Herzens an uns fürchten, die Pedanterie sei. Unter den Händen eines Pedanten würden sie vor Kummer sterben.
    Meine Patienten warteten auf der gepflasterten Terrasse vor meinem Hause. Da hockten sie beisammen, alte abgezehrte Männer mit bösem Husten und Triefaugen; junge, schlanke, schwarzäugige Krieger mit zerschundenen Kinnladen und Mütter mit fiebernden Säuglingen, die ihnen wie kleine welke Blumen am Halse hingen. Oft gab es schlimme Brandwunden zu heilen, denn die Kikuju schlafen nachts in ihren Hütten beim offenen Feuer, und zuweilen stürzen die Stöße brennender Scheite oder Holzkohlen zusammen und fallen auf die Schläfer. Manches Mal, wenn meine Arzneivorräte zu Ende waren, habe ich gefunden, daß Honig eine recht gute Brandsalbe ist. Die Stimmung auf der Terrasse war erregt und voller Spannung, ähnlich der Stimmung in einem Spielklub in Europa. Der leise lebhafte Fluß der Gespräche verstummte, wenn ich heraustrat, aber diese Stille war geladen von Erwartung, denn jetzt war der Moment gekommen, wo das Unvorhergesehene geschehen konnte. Doch überließen sie es immer mir, den ersten Patienten auszuwählen, denn alles hat seine gebotenen Grenzen.
    Ich verstand sehr wenig von der Heilkunst, nur eben so viel, als man in einem Lehrgang für erste Hilfeleistung lernt. Aber mein Ruf als Arzt hatte sich nach einigen zufällig geglückten Kuren festgesetzt und war von den katastrophalen Fehlern, die ich machte, nicht erschüttert worden. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, meinen Patienten in jedem einzelnen Falle die Genesung zu garantieren – wer weiß, ob ihre Reihen sich nicht gelichtet hätten? Freilich hätte ich dann das Ansehen eines Fachmannes gewonnen – es gab noch einen außerordentlich tüchtigen Doktor in Volaia –, aber hätte man noch sicher glauben dürfen, daß der Herr mit mir war? Denn den Herrn hatten sie erkannt in den großen Jahren der Dürre, in den Löwen nachts auf den Steppen und den Leoparden, die um ihre Häuser schlichen, und in den Heuschreckenschwärmen, die über das Land kamen – niemand wußte, woher – und keinen Grashalm übrigließen, wo sie gehaust hatten. Sie erkannten ihn auch in den unfaßbar glücklichen Augenblicken, wenn der Schwarm über das Maisfeld hinwegzog und sich nicht niederließ oder wenn im Frühjahr der Regen zeitig und reichlich fiel und alle Felder und Steppen blühten und reiche Ernte gaben. Vielleicht war also der tüchtige Doktor aus Volaia doch nur eine Art Außenseiter, sowie es um die wirklich großen Dinge des Lebens ging?
     
    Kamante erschien zu meiner Überraschung am Morgen nach unserer ersten Begegnung. Etwas abseits von den drei oder vier anderen Kranken, die auf mich warteten, stand er aufrecht da mit seinem halb erstorbenen Gesicht, als hätte ihn doch noch etwas Liebe zum Leben überkommen und als wollte er nun diesen letzten Versuch machen, es zu erhalten.
    Mit der Zeit erwies er sich als vortrefflicher Patient. Er kam, wann es befohlen war, ohne sich je zu irren, er verstand auch die Tage zu zählen, wenn er jeden dritten oder vierten Tag kommen sollte, was bei Schwarzen eine seltene Fähigkeit ist. Die schmerzhafte Behandlung seiner Wunden ertrug er mit einem Stoizismus, wie ich ihn sonst nie erlebt habe. In all diesen Dingen hätte ich ihn den übrigen als Muster vorhalten können und tat es doch nicht, da er mir gleichzeitig mancherlei Kummer bereitete.
    Selten, ganz selten habe ich ein so wildes Geschöpf gesehen, ein menschliches Wesen, das so gänzlich von der Welt geschieden und durch eine Art starrer, toter Resignation von allem Leben ringsum vollkommen abgesperrt war. Ich konnte ihn dazu bringen, zu antworten, wenn ich ihn fragte, aber niemals sagte er von sich aus ein Wort oder sah mich an. Er empfand keine Spur von Mitleid und warf den anderen kranken Kindern, wenn sie beim Waschen und Verbinden weinten, nur eine kleine spöttische Lache der Verachtung und des Besserwissens zu, ohne sie jedoch dabei anzusehen. Er
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