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Jenseits des Spiegels

Jenseits des Spiegels

Titel: Jenseits des Spiegels
Autoren: Stefanie Markstoller
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musste mich räuspern, weil ich plötzlich eine ganz trocknende Kehle hatte. „Was ist aus der kleinen, weißen Wölfin geworden?“
    „Warum fragst du, hast du Angst, dass ich sie vielleicht wirklich verspeist habe?“, zischte sie bitter.
    „Nein.“ Denn bei allen Fehlern die Kaj haben mochte, glaubte ich nicht, dass sie einem kleinen Kind etwas zu leide tun würde. Trotzdem musste ich wissen, was aus der kleinen geworden war. „Bitte sag es mir.“
    „Ihr Name ist Raissa“, begann sie nach einiger Zeit leise. „Ich habe sie zu einer Bekannten gebracht, die sich um sie kümmert, bis ich eine Wohnung außerhalb von Anwars Haus gefunden habe.“  Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie einen unliebsamen Gedanken loswerden. „Ich wollte sie mit zu mir nehmen, mich um sie kümmern. Sie hat doch sonst niemanden. Ihre Eltern sind schon lange tot, nur ihr Opapá war noch da, doch dank mir …“ Sie verstummte kurz. „Ich wollte ihr ein Zuhause geben, mich um sie kümmern, wie ich es mit meinem eigenen Baby nie hatte tun können, aber das ist jetzt sowieso alles egal.“
    „Vielleicht auch nicht.“
    Wieder begegnete ich diesem misstrauischen Blick. „Wie meinst du das?“
    Jetzt oder nie. Wenn ich das jetzt tat, würde es kein Zurück mehr geben, und wenn ich es nicht tat, würde ich kein zweites Mal den Mut finden. Außerdem würden mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Schuldgefühle plagen. „Freiheit.“ So, jetzt war es raus, und ich voll am Arsch.
    „Freiheit?“ Nun sah Kaj doch auf. „Du willst mich hier raus lassen, eine Mörderin und Welpenfresserin?“
    „Ja.“
    „Hast du den keine Angst, dass ich auf die Idee komme jemanden auf meine Speisekarte setzte, vielleicht sogar dich?“
    „Nein hab ich nicht.“ Und das war die reine Wahrheit. Andernfalls würde ich gar nicht hier stehen.
    Sie musterte mich, forschte in meinem Gesicht, ob ich es ehrlich meinte, oder ob ich Hintergedanken hatte. Was ich ihr nicht verübelte, ich meine, Hallo? Bei ihrer Hintergrundgeschichte, wer wäre da nicht misstrauisch? Dann lächelte sie. Es war kein nettes Lächeln. „Ah, ich verstehe, du hast Mitleid mit mir. Aber das kannst du dir sonst wohin schieben, das brauche ich nicht. Ich komme schon …“
    „Nein, kein Mitleid.“
    Wieder dieser misstrauische Blick. „Was ist es dann? Glaubst du ich lege Wert auf Rettung? Ich brauche keine Freiheit, ich bin genau da wo ich hingehöre.“
    Oh Mann, wie konnte man nur so melodramatisch sein? „Bist du jetzt mit deinem Bad im Selbstmitleid fertig, oder soll ich dir dafür noch ein wenig Zeit einräumen, und später nochmal vorbei schauen?“ Sie funkelte mich wütend an, aber das konnte ich genauso gut. „Ich bin nicht hier, um dich vor dir selbst zu retten, und nein, bevor du fragst, ich erwarte von dir keine Gegenleistung. Das einzige was ich von dir möchte ist, dass du bei mir wohnst. Vielleicht kannst du mir auch hin und wieder helfen. Ich bin neu in dieser Welt, und verstehe noch nicht alles. Und du wirst dir natürlich einen Job suchen, ich werde dich nämlich ganz sicher nicht mit durchfüttern. Außerdem erwarte ich, dass du deine Wäsche selber wäschst, ich habe nämlich nicht vor deine dreckigen …“
    „Warum tust du das?“, unterbrach sie mich.
    Für den Moment schloss ich den Mund. Ich wusste nicht, wie ich die Gefühle in meinem inneren einordnen sollte, aber seit sie mir erzählt hatte, was ihr geschehen war, verstand ich sie. Ich wusste wie es war, und das machte mir eine scheiß Angst. „Weil ich dich verstehe“, antwortete ich daher einfach.
    „Ach ja?“ Sie schnaubte sehr undamenhaft. „Sicher.“ 
    Ich wollte nicht darüber reden, wollte mich damit nicht auseinandersetzen, doch was blieb mir anderes übrig? Sie sollte nicht für etwas büßen, das sie nicht verschuldet hatte. Es wäre am einfachsten gewesen sich umzudrehen, und dieses sture Frauenzimmer einfach sich selber zu überlassen, aber das wäre feige, und ich wollte kein Feigling sein. „Du fühlst dich dreckig, selbst nach all den Jahren.“ Meine Worte kamen leise aber schnell. Ich wollte es einfach nur hinter mich bringen. „Und es ist egal wie oft du dich wäschst, diese Art von Dreck geht einfach nicht weg. Du fürchtest dich vor Berührungen, zuckst bei ihnen zusammen, und wünschst dir nichts anderes als das zu vergessen, was geschehen ist, doch ich kann dir sagen, dass es nichts bringt. Selbst ohne Erinnerung versucht dein Körper dich zu schützen.“
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