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Jenseits des Protokolls

Jenseits des Protokolls

Titel: Jenseits des Protokolls
Autoren: Bettina Wulff , Nicole Maibaum
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arbeitete als selbstständiger Immobilienmakler, war frisch geschieden und bereits Vater eines damals dreijährigen Sohnes. Er hatte einen wunderbar ansteckenden Humor und seine zurückhaltende Art gefiel mir. Er war präsent, aber nicht aufdringlich. Nur wenige Wochen später zogen wir zusammen. Wie sagt man so schön: Ich schwebte im siebten Himmel. Torsten schien mir der perfekte Partner. Er war – und er ist es noch immer – ein absolut zugewandter, liebevoller Mensch. Torsten gab mir das Gefühl von einem sicheren Zuhause, nachdem ich mich damals langsam sehnte. Den Haushalt machen, einkaufen, kochen – für ihn in einer Beziehung selbstverständlich. Auch kümmerte er sich intensiv um seinen Sohn, was ich sehr bewusst zur Kenntnis genommen habe, denn ich wünschte mir ein Kind. Ich fühlte mich reif, die Verantwortung zu übernehmen, und Torsten zeigte mir, dass er ein guter Vater war. So war es für mich das schönste Geschenk an meinem 29. Geburtstag zu wissen, dass ich schwanger bin. Das Baby war geplant. Ich fand es großartig von Torsten, sich noch einmal auf das Abenteuer »Familie« einzulassen.
    Leander kam am 19. Juni 2003 zur Welt und zunächst schien das Glück zu dritt perfekt. Etwa ein halbes Jahr nach Leanders Geburt aber sagte ich mir zum ersten Mal: »Hier laufen grundsätzliche Dinge schief.« Jahrelang hatte für mich der Tag eine feste, klare Struktur: Ich ging morgens zur Arbeit, kam am Nachmittag nach Hause, bin dann zumeist zum Sport gegangen, bevor ich mich abends mit einer Freundin oder einem Freund getroffen habe. Ich war jemand, der mindestens eine Woche im Voraus wusste, was an Terminen ansteht. Dies gab mir Sicherheit. Und als Mutter verspürte ich das Gefühl, noch weitaus mehr Sicherheit zu benötigen, eben im Hinblick auf Leander. Heute, ein paar Jahre älter und um einige Erfahrungen reicher, weiß ich, dass ich es sicher mit meinem Planen auch übertrieben habe. Damals aber konnte ich nicht aus meiner Haut.
    Es machte mich rasend, wie Torsten abends ins Bett gehen konnte, ohne zu wissen, wie der nächste Tag aussieht. Dass er sogar am nächsten Morgen aufstand und sagte: »Ach, ich gehe jetzt erst einmal einen Kaffee trinken. Danach sehen wir weiter …« Für mich lebte er in einem totalen Chaos. Was mich anfangs an ihm und seinem Selbstständigen-Dasein faszinierte, diese Gelassenheit und ohne scheinbare Zwänge zu leben, sich von keinem etwas sagen lassen zu müssen, dies ließ mich plötzlich verkrampfen. Hinzu kam die finanzielle Unsicherheit. Torstens Geschäfte liefen damals leider schlecht, auch musste er Unterhalt zahlen. Nicht zu wissen, ob überhaupt und wenn ja, wie viel er zur Miete, zu den Kosten für die Lebensmittel, einfach zu unserem Lebensunterhalt beisteuern kann, hat mich belastet. Permanent hatte ich das Gefühl, dass alles an mir hängt, dass ich bloß nicht krank werden darf, sondern immer perfekt performen muss, um den gesamten Laden zu schmeißen.
    Torsten und ich redeten und suchten nach Kompromissen. Aber es war der Klassiker: »Ja, ich werde mich ändern«, lautete das Versprechen von Torsten, wenn ich ihn bat, mehr Struktur in seinen Tagesrhythmus zu bringen. Doch das Beteuern hielt nur zwei, drei Wochen, bevor er wieder in seinen alten Trott verfiel. Verrückt. Wenn ich rückblickend an diese Zeit denke, kann ich über mich nur den Kopf schütteln. Ich sah nicht, dass Torsten selbst mit dieser Phase haderte, er mit sich unzufrieden war und nicht wusste, wo er hinwill. Meine Wünsche und meine Forderungen setzten ihn nur noch mehr in Druck.
    Die Situation blieb unverändert und ich wurde zunehmend wütender. Wir hatten uns schließlich gemeinsam entschieden, ein Kind zu bekommen. Aber alles blieb an mir hängen, lastete auf meinen Schultern – so habe ich es empfunden. Gut ein Jahr nach Leanders Geburt zog ich daher aus der gemeinsamen Wohnung aus. Es fiel mir schwer, sehr schwer. Selbst im Nachhinein tut es mir noch immer leid, obgleich dies aus dem Munde der Person, die den anderen verlassen hat, oft mehr nach einer schnell dahingesagten Entschuldigung klingen mag. Doch es ist mein Ernst.
    In den ersten Wochen nach der Trennung zweifelte ich auch stark an meiner Entscheidung. Der Euphorie, mich nicht mehr tagtäglich über Torstens Verhalten aufregen und mit den Alltagssorgen dieser Beziehung herumschlagen zu müssen, folgte die herbe Ernüchterung. Zwar war ich glücklich, nach der Elternzeit wieder zurück in meinen Job als Pressereferentin
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