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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes
Autoren: Heather Terrell
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Schließfächern kämpften. Natürlich wurde ich nach wie vor noch gelegentlich »aus Versehen« angerempelt. Nicht alle Schüler hatten die Facebook-Affäre vergessen, die mittlerweile in die Annalen der Schule eingegangen war. Dabei hatte ich die anderen bloß schützen wollen und die Schuld für einen besonders abscheulichen Streich auf mich genommen, den Piper und Mitsy, zwei der beliebtesten Elftklässlerinnen, in ihren kranken Hirnen ausgeheckt hatten.
    Ich konnte nicht anders: Ich starrte meine Mitschüler in fassungslosem Staunen an, als wären sie exotische Tiere im Zoo. Sie hatten keine Ahnung, dass wir auf das Ende der Welt zusteuerten und dass ich dazu ausersehen war, eine ganz besondere Rolle dabei zu spielen. Es vielleicht sogar zu verhindern. Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass ihr Getuschel und ihr Lerneifer und all ihre Schulsorgen vollkommen bedeutungslos waren.
    Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Die Vorstellung »Ellspeth Faneuil – Retterin der Welt« war einfach zu absurd.
    Das Einzige, was mich davon abhielt, komplett die Nerven zu verlieren, war Michael. Seine Hand war wie ein Anker, der mich mit unserer neuen Wirklichkeit verband. Ich glaubte fest daran, dass ich mich in unseren zwei gänzlich verschiedenen Universen – der oberflächlichen Welt der Tillinghast High einerseits, dem drohenden Endzeit-Szenario andererseits – würde zurechtfinden können, solange er nur bei mir war.
    Doch kaum hatte ich mich vor dem Englischunterricht von Michael verabschiedet, war mein Anker weg, und ich hatte das Gefühl, steuerlos auf einem Ozean zu treiben, den es gar nicht wirklich gab.
    Die Englischstunde brachte mich an den Rand des Wahnsinns. Kaum hatte ich das Klassenzimmer betreten, ging Miss Taunton auf mich los. Wie ein Habicht, der auf seine Beute niederstößt, bombardierte sie mich mit Fragen über den Roman, den wir gerade lasen und an den ich mich im Durcheinander meiner sehr viel eindrücklicheren Erinnerungen an Boston und insbesondere die Begegnung mit Ezekiel kaum noch erinnern konnte. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschrien, dass das alles keine Rolle mehr spielte, aber natürlich traute ich mich nicht.
    Kaum hatte Miss Taunton von mir abgelassen, bekam ich eine SMS von Ruth. Nach der Stunde auf dem Gang! Unter normalen Umständen wäre mir nichts willkommener gewesen als ein Gespräch mit meiner ältesten und besten Freundin auf der ganzen Welt – vor allem, wenn ich mir dabei wegen Miss Tauntons ungerechtem, wenngleich keineswegs ungewöhnlichem, Verhalten eine Runde Mitgefühl abholen konnte. Aus Gründen, die nur Miss Taunton selbst kannte, hegte sie eine tief empfundene Abneigung gegen mich.
    Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob ich zu einem Gespräch mit Ruth in der Lage sein würde. Ich wusste ja nicht, woran sie sich erinnerte. Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten – Minuten, bevor ich in den Zug nach Boston gestiegen war –, hatte sie mir gestanden, dass sie mich beim Fliegen beobachtet hatte. Hatten meine Eltern ihre Erinnerung vielleicht auch zu löschen versucht, mit mehr Erfolg? Wenn ja, würde ich es dann wirklich schaffen, ihr die stinknormale Ellie vorzuspielen? Wie sollte ich mich ihr gegenüber verhalten? Ich schrieb zurück, dass es mir nicht gutginge, und hustete die ganze Stunde hindurch, um meine Lüge glaubwürdiger erscheinen zu lassen.
    Gleich nach dem Klingeln rannte ich aus der Klasse. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich brauchte eine Auszeit von meinen zwei Paralleluniversen. Einen kleinen Augenblick, um wieder zu Atem zu kommen und mich zusammenzuraufen.
    Stattdessen hatte ich einen Frontalzusammenstoß mit Piper, die nicht nur eins der beliebtesten Mädchen der Schule war, sondern darüber hinaus auch noch im Haus nebenan wohnte. Seit ich die Schuld für ihren miesen Facebook-Streich auf mich genommen hatte, war sie mir aus dem Weg gegangen. Aus unerfindlichen Gründen schien sie nun beschlossen zu haben, dass der Augenblick gekommen war, ihr Schweigen zu brechen.
    »Ich weiß, was du gemacht hast, Ellie. Ich kapier bloß nicht, wieso du’s gemacht hast. Wieso nimmst du die Schuld für eine Sache auf dich, mit der du gar nichts zu tun hattest? Du musst wochenlang nachsitzen, du kriegst Hausarrest aufgebrummt, du läufst jeden Tag hier den Gang lang und weißt dabei genau, dass alle dich hassen – und trotzdem sagst du kein Wort über mich und Mitsy. Ich wette, du hältst dich für eine Heilige oder so
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