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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes
Autoren: Heather Terrell
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wusste mit absoluter Sicherheit, dass Boston kein Traum gewesen war. Es war alles wirklich passiert. Das und mehr.

Drei

    A uf einmal war ich ganz aufgeregt. Weil Boston kein Traum gewesen war. Weil meine Erinnerungen an Michael – daran, wie wir gemeinsam geflogen waren und gegenseitig von unserem Blut gekostet hatten – Wirklichkeit waren. Weil jetzt klar war, dass wir in Boston tatsächlich herausgefunden hatten, wer – und was – wir waren.
    Aber dann sagte Michael so leise, dass ich ihn über die Musik kaum verstehen konnte: »Unwissenheit ist das Einzige, was dich bis jetzt beschützt hat.«
    Seine Worte machten mir schlagartig bewusst, dass es nicht nur gute Neuigkeiten gab. Die Sache hatte auch einen Haken.
    Michael und ich hätten nämlich gar nicht wissen dürfen, wer wir waren. Denn sobald wir erkannt hatten, dass wir die lang ersehnten Nephilim waren, von denen die Prophezeiung sprach, würde das Ende der Zeit anbrechen. Das Wissen um unsere Bestimmung und unsere zur vollen Entfaltung gelangten Kräfte würde unweigerlich die anderen gefallenen Engel anlocken, und die würden alles daransetzen, uns auf ihre Seite zu ziehen. Um genau das zu verhindern, hatten unsere Eltern jahrelang unsere Identität vor uns verborgen. Und als wir dann in Boston trotzdem auf die Wahrheit – oder zumindest einen Teil von ihr – gestoßen waren, hatten sie befreundete Engel zu Hilfe gerufen, die im Gegensatz zu ihnen noch im Besitz ihrer übersinnlichen Kräfte waren und versucht hatten, das gefährliche Wissen aus unserem Gedächtnis zu löschen.
    Michaels Worte lösten in mir die Erinnerung an eine Begebenheit aus, die sich kurz nach unserer Rückkehr aus Boston ereignet hatte. Mir fiel wieder ein, dass ich meine Eltern gesehen hatte, die Hand in Hand dastanden und sich mit einer blonden Frau undefinierbaren Alters unterhielten. Ich war mit ihnen im Zimmer, nahm aber ihre Unterhaltung wie durch einen dichten Nebel wahr, als wäre ich im Halbschlaf.
    »Tamiel«, sagte Dad zu der Frau. »Bist du dir sicher, dass es funktionieren wird? Sie wird vergessen?«
    »Wenn wir uns im Augenblick noch irgendeiner Sache sicher sein können, dann ja, Daniel«, antwortete die Frau. »Aber du und Hananel, ihr müsst auch euren Teil dazu beitragen. Ihr müsst euch im Umgang mit Ellspeth den Anschein der Normalität geben, damit sie gar nicht erst auf den Gedanken kommt, sich zu fragen, ob an ihr vielleicht etwas anders ist.«
    Tja, die Mission konnte man wohl als gescheitert betrachten. Ich wusste ganz genau, dass an mir »etwas anders« war. Michaels Eltern hatten offenbar auch keinen Erfolg gehabt.
    Ich machte den Mund auf, weil ich ungefähr hundert Fragen auf der Zunge hatte, aber Michael legte mir den Finger an die Lippen. Ich begriff nicht. Wieso konnten wir nicht darüber reden? In seinem Auto hörte uns doch niemand. Aber ein Blick auf Michaels todernste Miene genügte, um jeden Einwand zu ersticken, den ich vielleicht hätte vorbringen wollen. So war ich den Rest der Fahrt mit meinen Gedanken allein.
    Und meine anfängliche Aufregung schlug in Panik um.
    Das war mir alles viel zu viel. Ich war Ellie Faneuil, Punkt. Nicht irgendein biblisches Wesen, auf dessen Schultern das Schicksal der Welt ruhte.
    Ich muss wohl genau so elend und verstört und verängstigt ausgesehen haben, wie ich mich fühlte, denn irgendwann fuhr Michael rechts ran und zog mich in seine Arme. Ganz fest drückte er mich an sich. Ich spürte, wie schnell sein Herz schlug und wie sich sein Brustkorb mit seinem Atem auf- und abbewegte, und mir wurde klar, dass er genau so große Angst hatte wie ich.
    »Es wird alles gut, Ellie, versprochen«, flüsterte er mir ins Ohr.
    Wie denn?, wollte ich ihn fragen. Wie sollte alles gut werden, wenn unsere ganze Welt auf den Kopf gestellt worden war?
    Aber ich brachte es nicht über mich.
    Michael schob mir die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht und wickelte sich eine Strähne um die Finger. Er sah in meine blauen Augen, die genauso hell waren wie seine. Seine Miene verriet mir, dass er mir keine Antwort geben konnte. Nur seine Liebe.
    Er legte seine vollen Lippen auf meine und küsste mich. Wild und heftig und lange. Sein Atem vermischte sich mit meinem, und ich spürte seine Zunge in meinem Mund. Mit dieser Berührung strömten die Erinnerungen – nur die guten – unserer gemeinsamen Zeit auf mich ein. Die unzähligen Stunden, die wir unbeschwert durch den nächtlichen Himmel geflogen waren. All die Abende, die
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