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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen
Autoren: Clive Barker
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schlimm.«

    Bei seiner Lektüre lernte Randolph ein Wort, das er bisher nicht gekannt hatte: Synchronizität. Er mußte sich ein Wörterbuch kaufen und nachschlagen, und er fand heraus, es bedeutete, daß manchmal Ereignisse zusammentrafen. Den Zusammenhängen, in denen die Briefschreiber es gebrauchten, konnte man entnehmen, es bedeute für gewöhnlich, daß die Art und Weise, wie Ereignisse aufeinander einwirkten, etwas Bedeutsames, Geheimnisvolles, vielleicht sogar Wunderbares hatte, als würde ein Muster existieren, das sich dem
    menschlichen Verständnis entzog.
    Ein solches Zusammenwirken fand an dem Tag statt, als Homer seine Bombe platzen ließ, eine Abfolge von Ereignissen, die alles verändern sollten. Kaum eine Stunde nachdem Homer gegangen war, legte Jaffe sein kurzes Messer, das allmählich stumpf wurde, an einen Umschlag an, der schwerer als die meisten war. Er schlitzte ihn auf, und ein kleines Medaillon fiel heraus. Es fiel auf den Betonboden, ein lieblich klirrender Laut.
    Er hob es mit Fingern auf, die zitterten, seit Homer gegangen war. Es war keine Kette an dem Medaillon, und es hatte auch keine Öse zu diesem Zwecke. Es war nicht hübsch genug, den Hals einer schönen Frau als Schmuck zu zieren, und obwohl es die Form eines Kreuzes hatte, ergab näheres Hinsehen, daß es kein christliches Symbol war. Die vier Balken waren gleich lang, die gesamte Länge kaum mehr als drei Zentimeter. Auf dem Kreuz war eine menschliche Gestalt, weder männlich 14
    noch weiblich, die die Arme wie der Gekreuzigte ausgestreckt hatte, aber nicht festgenagelt war. Auf den Balken befanden sich abstrakte Muster, die allesamt in einem Kreis endeten. Das Gesicht war sehr einfach gestaltet. Es zeigte, fand er, die leise Andeutung eines Lächelns.
    Er war kein Fachmann der Metallkunde, aber es war
    deutlich, daß das Ding weder aus Gold noch aus Silber bestand.
    Er bezweifelte, daß es je glänzen würde, selbst wenn man den Schmutz entfernte. Aber es hatte dennoch etwas ungeheuer Anziehendes an sich. Wenn er es ansah, verspürte er dasselbe wie manchmal am Morgen nach einem tiefempfundenen
    Traum, an dessen Einzelheiten er sich aber nicht mehr erinnern konnte. Dies war ein bedeutender Gegenstand, aber er wußte nicht warum. Kamen ihm die Symbole möglicherweise deshalb bekannt vor, weil er sie einmal in einem Brief gelesen hatte? Er hatte in den vergangenen Wochen Tausende und Abertausende gelesen, viele hatten knappe Skizzen enthalten, manchmal obszön, häufig unentwirrbar. Diejenigen, die ihm am
    interessantesten erschienen waren, hatte er aus dem Postamt herausgeschmuggelt, damit er sie nachts studieren konnte. Sie lagen gebündelt unter dem Bett in seinem Zimmer. Vielleicht konnte er den Traum-Kode des Medaillons entschlüsseln, wenn er besagte Briefe eingehend studierte.
    Er beschloß, an diesem Tag zusammen mit den anderen
    Arbeitern essen zu gehen, weil er dachte, es wäre besser, wenn er Homer nicht noch weiter erboste. Das war ein Fehler. Unter den guten alten Jungs, die sich über Nachrichten unterhielten, die er seit Wochen nicht mehr gehört hatte, über die Qualität des Steaks von gestern abend, über den Fick, den sie nach dem Steak gehabt oder auch nicht gehabt hatten, und darüber, was der Sommer bringen würde, kam er sich wie ein vollkommen Fremder vor. Auch sie wußten es. Sie kehrten ihm halb die Rücken zu, während sie sich unterhielten, sprachen manchmal flüsternd darüber, wie unheimlich er aussah und wie wild seine 15
    Augen blickten. Je mehr sie ihn mieden, desto glücklicher war er, daß sie ihn mieden, denn sie wußten - sogar Dummköpfe wie sie wußten -, er war anders als sie. Vielleicht hatten sie sogar ein wenig Angst.
    Er brachte es nicht fertig, um halb zwei wieder in das Zimmer mit den Postirrläufern zurückzugehen. Das Medaillon und seine geheimnisvollen Zeichen brannten ein Loch in seine Tasche. Er mußte sofort in seine Unterkunft zurück und dort anfangen, seine private Briefbibliothek zu durchforschen. Und genau das machte er auch, ohne sich erst die Mühe zu machen, Homer davon zu erzählen.
    Es war ein strahlender, sonniger Tag. Er zog wegen des glei-
    ßenden Lichts die Vorhänge zu, schaltete die Lampe mit dem gelben Schirm ein und begann sein Studium in einer Art Fieber; er klebte Briefe mit Andeutungen von Illustrationen mit Klebeband an die kahlen Wände, und als die Wände voll waren, breitete er sie auf Tisch, Bett, Stuhl und Fußboden aus.
    Dann ging er von Blatt zu
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