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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Autoren: Antonia Michaelis
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um den Wald herumzureiten hätte zu lange gedauert. Stunden und Stunden und Stunden, hatte Almut gesagt. So viel Zeit blieb uns nicht. Wir würden die Pferde später zurückbringen.
    Vor der Brücke saßen wir ab. Wir traten an den Rand der Schlucht und Flop, der uns nachgerannt war, zog den Schwanz ein und winselte.
    »Hab keine Angst«, flüsterte ich und bückte mich, um ihn zu streicheln. »Es ist nur ein dummer alter Bach.«
    »Du hast doch selber Angst«, meinte Almut. »Du hattest immer Angst vor der Höhe. Nicht wahr?«
    »Ach was!«, sagte ich ärgerlich. »Ich bin einmal über die Brücke gegangen, ich kann es auch zwei- oder dreimal tun. Es macht keinen Unterschied.«
    Aber das war eine glatte Lüge. Wenn ich in die Todesschlucht hinabsah, wurde mir ganz schwindelig und die Tiefe schien mich zu rufen. Komm, komm!, lockte sie. Komm in meine Arme! Ich schluckte.
    »Du bist sehr tapfer«, sagte Joern.
    »Ach was«, sagte ich wieder. Und ich riss meinen Blick von der Todesschlucht, um meinen Freund anzusehen, der zugleich mein Bruder war.
    »Joern«, begann ich leise. »Vor einer Weile hatte ich einen Traum und letzte Nacht habe ich ihn wieder geträumt. In meinem Traum war die Brücke groß und breit. Und alle konnten hinübergehen. Es gab keine Mauer, es gab keine getrennten Welten. Es gab nur eine.«
    Joern nickte ernst. »So muss es sein«, sagte er.
    »Genau so«, sagte Almut. »Und die Brücke braucht ein Geländer.«
    »So wird es werden«, flüsterte ich. »Wartet nur. Wir werden die Welten verbinden. Wenn ich Flint unsere Geschichte erzählt habe, wird er begreifen, dass es richtig ist. Im nächsten Frühling wird Onnar mit Johann die Schafe zählen. Und Holm wird für Tom Grimassen schneiden. Und Mama wirdmit Frentje in der Küche sitzen und Kaffee trinken und über Eintöpfe reden.«
    Almut seufzte tief. »Wie schön!«, sage sie.
    Joern sagte nichts. Er sah mich nur an und ich sah in seinen moosgrünen Augen, dass er sich fürchtete.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Um Viertel vor eins bin ich vor dem Gericht. Mit Flint. Er weiß sicher, wo das Gerichtsgebäude ist. Alle werden sich wundern und Onnar kommt frei. Selbst der Weiße Ritter wird auftauchen, ich spüre es.«
    »Und wenn ihr nicht da seid?«, fragte Joern.
    »Wenn wir nicht da sind?« Ich überlegte. »Dann ist etwas schiefgegangen. Dann musst du zur Finsterbachbrücke reiten, so schnell du kannst. Und du musst hinübergehen und uns vom Norderhof holen.«
    »Ich kann nicht reiten«, sagte Joern.
    »Das brauchst du auch nicht«, sagte ich. »Denn es wird nichts schiefgehen. Komm, Almut.«
    Almut schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht mit, Lasse«, erklärte sie. »Ich bleibe hier. Wenn Flint nicht hören will, der alte Dickkopf, dann richte ihm aus, Almut kommt nicht zurück, ehe er sich nicht in der Schwarzen Stadt blicken lässt und die Dinge regelt. Richte ihm aus, dass ich warten kann. Lange.«
    Sie verschränkte die Arme und machte ein entschlossenes Gesicht.
    »Und erinnere ihn daran, dass sein Pferd hier ist«, fügte sie hinzu. »Aber wahrscheinlich bin ich schon Grund genug für ihn, vernünftig zu sein. Frentje wird ihn umbringen, wenn er zulässt, dass ich nicht zurückkomme.«
    Ich grinste. »Du bist verrückt. Ich wette, deine wilden Drohungen werden gar nicht nötig sein. Also bis heute Mittag um eins.«
    Und damit ging ich über die Finsterbachbrücke, allein.
    Erst als ich mitten auf der Brücke war, erinnerte ich mich, dass ich vor langer Zeit etwas anderes von dieser Brücke geträumt hatte. Ich hatte geträumt, wie der Kjerk mich angriff, aus der Luft heraus, und wie ich fiel.
    Doch ich erreichte die andere Seite sicher und ohne Zwischenfall. Drüben drehte ich mich noch einmal um. Nie werde ich vergessen, wie Almut und Joern dort standen, mit den Pferden. Joern hatte Flop wieder auf den Arm genommen und streichelte mit einer Hand seine Ohren. Mit der anderen Hand winkte er mir.
    Ich winkte zurück und kroch durch das Loch in der Mauer.
    Mama saß den ganzen Vormittag am Küchentisch und sah ins Leere. Almut und Joern saßen lange bei ihr und schwiegen.
    Dann fiel Joern etwas ein. Ganz plötzlich. Er griff in die Tasche, holte den goldenen Ring hervor und legte ihn vor Mama mitten auf den Tisch. Womöglich hatten sie ihn doch nicht mit der Kommode geerbt und jemand anders hatte ihn dahinter versteckt.
    »Was ist das?«, fragte Almut.
    »Das wüsste ich auch gern«, sagte Joern. »Kennst du den Ring,
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