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Januskopf

Januskopf

Titel: Januskopf
Autoren: F Schmöe
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drauf lag der Brief im Kasten.«
    Das war über eine Woche her. Lange acht Tage, um einen anonymen Brief aufzubewahren.
    »Kam der Brief per Post?«
    »Nein. Es ist keine Briefmarke drauf. Ich bin morgens immer früh an Deck, habe aber niemanden bemerkt und nichts gehört. Als ich um halb acht zur Arbeit ging, lag der Brief im Briefkasten.«
    »Kann ich ihn sehen?«
    »Sicher.«
    Charlotte Isenstein stand auf und öffnete die Seitentür des Schrankmonstrums. Auf einem akkurat geschichteten Zeitschriftenstapel lag ein Kuvert, das sie nun mit spitzen Fingern aufpickte und vor Katinka auf dem Kupfertisch ablegte.
    O weh, dachte Katinka. Sie kramte ein Paar Latexhandschuhe hervor und schlüpfte hinein.
    »Daran habe ich natürlich nicht gedacht«, verteidigte sich Charlotte, ohne dass jemand etwas gesagt hätte. »Ich konnte doch nicht ahnen ...«
    Der Umschlag war sorgfältig aufgeschlitzt worden.
    »Wer von Ihnen hat das Kuvert geöffnet?«, fragte Katinka.
    »Ich«, kam es von Charlotte.
    Katinka musterte einen ganz gewöhnlichen, billigen Umschlag mit dem Umweltengel-Logo auf der Rückseite. Als Adresse war nur ›Ewald Isenstein‹ angegeben, keine Straße, keine Hausnummer.
    »Anonym«, bekräftigte Charlotte, als Katinka den Umschlag umdrehte und vorsichtig den zweimal gefalteten Bogen herauszog.
    »Wieder Recyclingpapier simpelster Ausführung«, murmelte Katinka. »Maximal achtzig Gramm. Geschrieben wurde mit einem Kugelschreiber.«
    »In der Tat. Viel Geld hat er nicht investiert.«
    »Wer: ›er‹?«, fragte Katinka nach.
    »Nun, der Absender.« Charlotte wurde rot.
    »Warum glauben Sie, dass es ein Mann ist?«
    »Ich ... die Handschrift.«
    Katinka überflog die kleinen, leicht nach rechts geneigten Buchstaben. Druckbuchstaben, beinahe. Viel zu lesen gab es nicht.
     
    Ewald Isenstein,
    ich weiß, dass du die Frau in Königsberg auf dem Gewissen hast. Und ich weiß, dass du noch mehr auf dem Zettel hast.
     
    Katinka senkte das Papier und schob den Bogen behutsam zurück in den Umschlag.
    »Herr Isenstein«, wandte sie sich an das lächelnde Lausbubengesicht. »Wo waren Sie am achten Juni gegen Abend?«
    »Das ist es ja gerade«, antwortete seine Frau für ihn. »In Königsberg.«
    Katinka schluckte ihre Überraschung hinunter.
    »Herr Isenstein?« Sie ignorierte Charlottes auf und zu klappenden Mund.
    »Meine Frau«, sagte Isenstein mit vielsagendem Augenaufschlag, »sieht die Dinge anders als ich.«
    »Das glaube ich Ihnen«, erwiderte Katinka. »Wir haben alle unseren subjektiven Blick. Im Moment genügt es mir, wenn Sie mir sagen, was Sie am achten Juni gemacht haben.«
    Isenstein zögerte. Er sah zu seiner Frau, dann zu Katinka. Nervös klimperte er mit den Fingern auf seinen spitzen Knien.
    »Wir haben ein Haus in Königsberg«, half Charlotte schließlich aus.
    Noch eins?, dachte Katinka. Laut sagte sie:
    »Wo genau?«
    »In der Marienstraße, gleich beim Kunsthandwerkshof. Dreihundert Jahre altes Fachwerk«, antwortete Charlotte. »Ewald nimmt sich ab und zu eine Auszeit. Draußen in Königsberg kann er für sich sein und schreiben.«
    »Und das haben Sie am Achten getan?«
    Ewald nickte kaum merklich und spielte weiter auf seinen Knien Klavier.
    »Sind Sie Schriftsteller?«
    »Ja!«
    Das kam wie aus der Pistole geschossen. Katinka überlegte fieberhaft, ob sie den Namen Isenstein schon einmal auf einem Buchcover gesehen hatte.
    »Sie waren den ganzen Abend in Ihrem Haus?«, fragte sie rasch, um den Faden nicht zu verlieren.
    Er nickte. Sein Gesicht verzog sich zu einer mürrischen Grimasse.
    »Kann das jemand bezeugen?«
    Ewald schüttelte den Kopf und sah dabei noch grimmiger aus.
    Katinka legte ihr Notizbuch auf ihren Schoß. Es gab eine Menge Fragen, die sie stellen musste. Sie begann mit der einfachsten.
    »Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«
    »Wir wollen kein Aufsehen.« Das kam von Charlotte.
    »Die Kriminaltechnik kann mittlerweile beinahe Unmögliches«, sagte Katinka und wies auf den Brief.
    »Ich halte die Sache im Grunde für einen schlechten Scherz«, erklärte Charlotte.
    Tust du nicht, dachte Katinka. Sonst hättest du mich nicht angequatscht und würdest nicht so verkniffen dreinschauen.
    »Wir dachten, eine Detektivin könnte der Sache diskret nachgehen.«
    »Was genau soll ich für Sie herausfinden?«
    Bevor Charlotte Isenstein antworten konnte, erhob sich Ewald und schlurfte zur Tür hinaus, ohne einen Blick oder einen Gruß, kraftlos wie ein Greis.
    Ein paar Sekunden war es
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