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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Autoren: Charlotte Brontë
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Idee!‹, dachte ich voll Freude. ›Ich sehe, dass ich so das Mittel in Händen habe, ihn in absehbarer Zeit aus seiner Melancholie herauszuärgern.‹
    Sehr früh am nächsten Morgen hörte ich ihn schon rastlos von einem Zimmer ins andere wandern. Sobald Mary nach unten kam, vernahm ich die Frage: »Ist Miss Eyre hier?« Und dann hörte ich: »Welches Zimmer habt Ihr für sie in Ordnung gebracht? War es auch trocken? Ist sie schon aufgestanden? Geh und frag, ob sie irgendetwas braucht und wann sie herunterzukommen gedenkt.«
    Ich kam hinunter, sobald ich glaubte, dass eine Aussicht auf Frühstück vorhanden sei. Ich trat sehr leise ins Zimmer und gewann so ein Bild von ihm, noch ehe er meine Anwesenheit bemerkte. Es war traurig zu gewahren, wie körperliche Gebrechlichkeit jenen mächtigen Geist unterjocht hatte. Er saß in seinem Stuhl – still, aber nicht ruhig,augenscheinlich voller Erwartung. Die Linien gewohnheitsmäßiger Traurigkeit hatten sich scharf in seine kräftigen Züge gegraben. Sein Gesicht erinnerte mich an eine gewaltsam ausgelöschte Lampe, welche darauf wartete, wieder angezündet zu werden. Aber leider konnte er selbst sein Gesicht nicht mehr zu lebendigem Glanz entfachen; er war dazu auf andere angewiesen. Ich hatte die Absicht gehabt, fröhlich und sorglos zu sein, aber die Hilflosigkeit dieses kräftigen Mannes ergriff mich auf das Tiefste. Trotzdem redete ich ihn mit der ganzen Fröhlichkeit an, welche mir in diesem Augenblick zu Gebote stand:
    »Es ist ein heller, sonniger Morgen, Sir«, sagte ich. »Der Regen hat aufgehört, und die Sonne scheint so milde herab. Sie müssen bald einen Spaziergang machen.«
    Ich hatte jenen Glanz entfacht, seine Züge belebten sich.
    »Oh, bist du wirklich da, meine Lerche? Komm zu mir! Du bist nicht wieder gegangen, nicht entschwunden? Vor einer Stunde hörte ich eine von deiner Art, sie sang hoch über dem Wald. Aber ihr Gesang hatte keine Melodie für mich, ebenso wenig wie die aufgehende Sonne Strahlen hatte. Für mein Ohr konzentriert sich die Melodie der ganzen Erde in der Stimme meiner Jane – wie froh bin ich, dass sie nicht schweigsam ist! Und Sonnenschein empfinde ich nur in ihrer Nähe.«
    Die Tränen traten mir in die Augen bei diesem Geständnis seiner Abhängigkeit. Es war gerade so, als ob ein königlicher Adler, an einen Pflock gefesselt, einen Spatzen angefleht hätte, sein Wärter und Hüter zu sein. Aber ich wollte nicht larmoyant sein, ich wischte die Tränen fort und machte mich daran, ihm das Frühstück zu bereiten.
    Den größten Teil des Morgens brachten wir im Freien zu. Ich führte ihn aus dem wilden, feuchten Wald hinaus auf die sonnigen Felder; ich beschrieb ihm, wie saftig grün sie seien; wie erfrischt die Blumen und Hecken nach dem Regen aussähen, wie funkelnd blau der Himmel sei. An einemverborgenen, lieblichen Ort suchte ich ihm ein Plätzchen auf einem trockenen Baumstumpf. Und als er sich gesetzt hatte, wehrte ich ihm nicht, dass er mich auf seine Knie zog. Weshalb hätte ich das tun sollen? Waren wir beide doch glücklich, wenn wir einander nahe waren! Pilot lag neben uns, alles war still. Plötzlich schloss er mich in seine Arme und rief:
    »Grausame, grausame Ausreißerin! O Jane, was empfand ich, als ich entdeckte, dass du von Thornfield geflohen warst und ich dich nirgends wiederfinden konnte; als ich dein Zimmer durchsuchte und fand, dass du kein Geld noch irgendetwas, das dir an Geldes statt hätte dienen können, mitgenommen hattest! Ein Perlenhalsband, das ich dir geschenkt hatte, lag unberührt in seinem kleinen Etui; deine Koffer waren verschlossen und geschnürt, wie wir sie für unsere Hochzeitsreise vorbereitet hatten. Was konnte mein Liebling denn beginnen, fragte ich mich ohne Unterlass, verlassen, ohne Geld, von allen Mitteln entblößt? Und was begann er? Lass mich das jetzt hören!«
    Auf sein Bitten begann ich nun endlich, ihm meine Erlebnisse des letzten Jahres zu erzählen. Als ich zu jenen drei Tagen des Umherwanderns, des Bettelns und Hungerns kam, milderte ich meinen Bericht sehr, denn es hätte ihm nur unnötigen Kummer bereitet, wenn er alles erfahren hätte. Das Wenige, was ich erzählte, verwundete sein treues Herz schon tiefer, als ich wünschte.
    Er sagte, ich hätte ihn nicht verlassen sollen, um mir einen Weg zu bahnen, so ganz ohne alle Mittel. Ich hätte ihm meine Absicht kundtun müssen. Ich hätte mich ihm anvertrauen sollen, denn er würde mich niemals gezwungen haben, seine
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