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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Autoren: Charlotte Brontë
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Küste gestrandet war; dem kalten, geisterhaften Mond, der durch düstere Wolkenmassen auf ein sinkendes Wrack herabblickt.
    Ich weiß nicht mehr, mit welchen Empfindungen ich auf den stillen, einsamen Friedhof mit seinem beschrifteten Grabstein sah, auf jenes Tor, die beiden Bäume, den niedrigen Horizont, der durch eine zerfallene Mauer begrenzt war, auf die schmale Mondsichel, die die Stunde der Abendflut bezeichnete.
    Die beiden Schiffe, welche auf regungsloser, windstiller See lagen, hielt ich für Meeresungeheuer.
    Über den Unhold, welcher sich sein Diebesbündel auf den Rücken schnürte, eilte ich flüchtig hinweg; er war ein Gegenstand des Schreckens für mich.
    Ein gleiches Entsetzen flößte mir das schwarze, gehörnte Etwas ein, das hoch auf einem Felsen saß und eine Menschenmengein weiter Ferne beobachtete, die um einen Galgen stand.
    Jedes Bild erzählte eine Geschichte. Oft war diese für meinen noch nicht entwickelten Verstand geheimnisvoll und meinem unbestimmten Empfinden unverständlich, stets aber flößte sie mir das tiefste Interesse ein: dasselbe Interesse, mit welchem ich den Erzählungen Bessies lauschte, wenn sie zuweilen an Winterabenden in guter Laune war. Dann pflegte sie ihr Bügelbrett an das Kaminfeuer des Kinderzimmers zu bringen und erlaubte uns, unsere Stühle heranzurücken. Und während sie Mrs. Reeds Spitzenmanschetten bügelte und die Rüschen ihrer Nachthauben kräuselte, erfreute sie uns mit Erzählungen von Liebesgram und Abenteuern aus alten Märchen und noch älteren Balladen, oder – wie ich erst viel später entdeckte – aus den Romanen »Pamela« und »Henry, Graf von Moreland«.
    Mit dem »Bewick« auf meinen Knien war ich damals glücklich, glücklich wenigstens auf meine Art. Ich fürchtete nichts als eine Unterbrechung, eine Störung – und diese kam nur zu bald. Die Tür zum Frühstückszimmer wurde geöffnet.
    »Oho, Madam Trübsal!«, ertönte John Reeds Stimme. Dann hielt er inne, augenscheinlich war er erstaunt, das Zimmer leer zu finden.
    »Wo zum Teufel ist sie denn?«, fuhr er fort. »Lizzy! Georgy!«, rief er seinen Schwestern zu, »Jane ist nicht hier. Sagt Mama, dass sie in den Regen hinausgelaufen ist – dieses Biest!«
    ›Wie gut, dass ich den Vorhang zugezogen habe‹, dachte ich, und dann wünschte ich inbrünstig, dass er mein Versteck nicht entdecken möge. John Reed allein würde es auch niemals entdeckt haben – er war langsam, sowohl im Begreifen wie in seinem Wahrnehmungsvermögen – aber Eliza steckte den Kopf zur Tür herein und sagte sofort:
    »Sie ist gewiss wieder in die Fenstervertiefung gekrochen, sieh nur da nach, Jack.«
    Ich kam sofort heraus, denn ich zitterte bei dem Gedanken, dass Jack mich hervorzerren würde.
    »Was möchtest du?«, fragte ich mit schlecht geheuchelter Gleichgültigkeit.
    »Sag: ›Was wünschen Sie, Mr. Reed?‹«, lautete seine Antwort. »Ich will, dass du hierher kommst!« Und indem er in einem Lehnstuhl Platz nahm, gab er mir durch eine Geste zu verstehen, dass ich näher kommen und vor ihn treten solle.
    John Reed war ein Schuljunge von vierzehn Jahren – vier Jahre älter als ich, denn ich war erst zehn Jahre alt. Er war groß und stark für sein Alter, hatte eine unreine, ungesunde Haut, grobe Züge in einem breiten Gesicht, schwerfällige Gliedmaßen und große Hände und Füße. Gewöhnlich pflegte er sich bei Tisch so vollzustopfen, dass er gallig wurde und trübe Augen und schlaffe Wangen bekam. Eigentlich hätte er jetzt in der Schule sein müssen, aber seine Mama hatte ihn für ein bis zwei Monate nach Hause geholt, »seiner zarten Gesundheit wegen«. Mr. Miles, der Direktor der Schule, versicherte, dass es ihm außerordentlich gutgehen würde, wenn man ihm nur weniger Kuchen und Leckerbissen von zu Hause schicken wollte, aber das Herz der Mutter empörte sich über eine so rohe Behauptung und neigte mehr zu der feineren und zarteren Ansicht, dass Johns Blässe von Überanstrengung beim Lernen und vielleicht auch von Heimweh herrühre.
    John hegte wenig Liebe für seine Mutter und seine Schwestern – und eine starke Antipathie gegen mich. Er quälte und bestrafte mich, nicht zwei- oder dreimal in der Woche, nicht ein- oder zweimal am Tage, sondern fortwährend und unaufhörlich. Jeder Nerv in mir fürchtete ihn, und jeder Zollbreit Fleisch auf meinen Knochen schauderte und zuckte, wenn er in meine Nähe kam. Es gab Augenblicke,wo der Schrecken, den er mir einflößte, mich ganz verrückt
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