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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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hat seine Praxis im selben Haus.«
    Tannenberg schaute auf seine Armbanduhr. »Also vor gut einer Stunde«, nuschelte er vor sich hin. »Habt ihr die Frau gefragt, ob sie hier im Wald in letzter Zeit irgendwelche interessanten Beobachtungen gemacht hat, vor allem vor etwa drei oder vier Tagen?«
    »Ja, das haben wir«, antwortete erneut der ältere der beiden Männer. »Aber das hat nichts gebracht. Sie geht nämlich sonst nie hier lang.«
    »Weil es ihr an der Jammerhalde zu gruselig ist, hat sie gesagt«, amüsierte sich sein hoch aufgeschossener, etwa halb so alter Kollege.
    Der andere warf ihm sogleich einen tadelnden Blick zu und erklärte: »Das heute war eine Ausnahme. Denn dort, wo sie normalerweise ihren Hund ausführt, ist der Waldweg seit gestern gesperrt – wegen Holzfällung.«
    »Gut. Habt ihr Ausweispapiere bei dem Toten gefunden?«
    »Nein.«
    »Und sonstige Hinweise auf seine Identität?«
    »Nein, absolut nichts.«
    »Auch kein Handy oder sonst was?«
    »Nein. Seine Taschen waren völlig leer. Noch nicht mal ein Taschentuch war drin.« Der junge Streifenpolizist schürzte angewidert die Lippen. »Nur überall diese ekligen Ameisen.«
    Tannenberg überging die Bemerkung. An den ranghöheren Beamten gerichtet, fuhr er mit seiner Befragung fort: »Und wie sieht’s mit Schmuck aus: Ring, Kettchen, Uhr?«
    Der Hauptwachtmeister schüttelte den Kopf.
    »Was ist mit der Vermisstendatei?«
    »Ich hab vorhin bei der Zentrale nachgefragt. Aber es gab in den letzten Wochen hier in der Gegend nur eine einzige Vermisstenmeldung: ein 15-jähriges Mädchen.«
    »Gut, Kollegen, Danke.«
    Der Leiter der Mordkommission schlenderte ein paar Schritte in Richtung des verwitterten Gedenksteins. In tiefen Zügen sog er die feuchte, angenehm kühle Luft ein. Wenige Meter vor ihm erschien hinter einem Sterholzstapel ein Eichhörnchen. Es lugte kurz zu ihm herüber, dann sprang es mit einem Riesensatz an eine Rotbuche und hastete den Stamm hinauf.
    Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich hinter seinem Rücken ein schnell anschwellendes Motorengeräusch auf. Entsetzt riss er seinen hünenhaften Körper herum. Er wusste sofort, was da im doppelten Wortsinne gerade auf ihn zukam. Die ganze Zeit über hatte er befürchtet, dass Förster Kreilinger an der Jammerhalde auftauchen könnte.
    An der Außenseite seines linken Beins verspürte er urplötzlich stechende Schmerzen. Und zwar exakt an der Stelle, auf die er vor fast genau einem Jahr schwer gestürzt war.
    Er war damals unter dringenden Mordverdacht geraten. In seiner Verzweiflung hatte er sich eine Weile im Wald versteckt gehalten. Durch Zufall war er dabei auf Kreilinger getroffen, der ihn mit seinem Geländewagen durch den halben Stadtwald gejagt hatte. Dabei stürzte er schwer und konnte nur in letzter Sekunde seinem Häscher entkommen.
    Die stechenden Schmerzen in seinem Bein hatten keine körperliche Ursache. Denn schließlich waren die Hautabschürfungen und Prellungen schon lange verheilt. Es waren vielmehr die tiefen Wunden in seiner Seele, die gerade diese heftigen Schmerzattacken hervorriefen. Das markante Fahrgeräusch des Jeeps, das immer näher kam, hatte völlig ausgereicht, um die traumatischen Erinnerungen erneut zu aktualisieren. Die existenzbedrohenden Ereignisse hatten ihn damals so sehr an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit geführt, dass ihn auch heute noch ab und an fürchterliche Albträume plagten, aus denen er dann schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd erwachte.
    Der Geländewagen preschte um die Kurve und schoss direkt auf die Polizeiabsperrung zu. Gerade noch rechtzeitig legte der Fahrer eine Vollbremsung hin. Das mächtige, verchromte Rohrgestänge der Frontpartie des Jeeps kam nur wenige Zentimeter vor dem Absperrband zum Stillstand. Breit grinsend stieg Kreilinger aus. Von einer kleinen Staubwolke verfolgt, schritt er betont lässig auf die Jammerhalde zu.
    Wolfram Tannenberg war noch immer wie gelähmt. In Zeitlupe wanderten seine Augen von dem protzigen Rammschutz des Geländewagens hinüber zu dem ganz in Grün gewandeten Revierförster. Kreilinger war mit einem olivfarbenen, kurzärmeligen Hemd und einer gleichfarbigen Hose bekleidet, die von zwei großen aufgesetzten Beintaschen optisch dominiert wurde. Dazu trug er einen Dreispitz-Jagdhut, sein Markenzeichen.
    Als der Kriminalbeamte den Hut aus grün meliertem Loden erblickte, den eine umlaufenden Zierkordel schmückte, tauchten in seinem Bewusstsein urplötzlich
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