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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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Schönthaler hatte inzwischen Latexhandschuhe übergestreift und sich links neben dem Leichnam niedergekniet. »Na, wer wohl, mein liebes Sabrinalein?«, fragte er mit ironischem Unterton. »Das war wohl wieder mal das Werk eines deiner Artgenossen.«
    Vorsichtig wischte er einige Waldameisen vom Halsstumpf des Toten. »Das war kein Tier. Im Gegensatz zu uns haben die Tiere nämlich nichts anderes im Sinn, als ihre eigene Art zu erhalten. Wir dagegen tun bekanntermaßen alles, um uns selbst zu vernichten.« Ohne zu ihr aufzublicken, ergänzte er: »Wie sagt Goethe so schön im ›Faust‹: ›Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, um tierischer als jedes Tier zu sein.‹ – Trefflich analysiert, Herr Geheimrat!« Geräuschvoll stieß er einen Schwall Luft durch die Nase.
    »Das ist ja hochinteressant«, fuhr er nach einer kleinen Pause fort. »Seht ihr diese bräunlichen Verfärbungen hier am Hals?« Er zeigte auf die entsprechende Stelle. »Die werden oft vorschnell als Hautabschürfungen gedeutet.«
    In Lehrer-Lämpel-Manier reckte er den Zeigefinger. »Dem ist aber definitiv nicht so. Denn diese Verfärbungen stammen von nichts anderem als von der Ameisensäure, die diese ebenso winzigen wie nützlichen Waldbewohner verspritzen.« Er legte den Finger auf den Hals des Toten, wartete, bis eine Ameise darauf gekrabbelt war und streckte die Hand in Richtung seiner Kollegen. »Und warum machen diese Tierchen das wohl, meine Dame, meine Herren?«
    Allseitiges Schweigen.
    Der Rechtmediziner zauberte eine Pinzette aus seinem Jackett hervor. Er beugte sich noch ein bisschen tiefer über den auf dem Rücken liegenden leblosen Körper und hantierte an ihm herum. Dann nahm er die Schulter wieder zurück und reckte den Arm in die Höhe. »Um diese possierlichen Gesellen hier zu töten.«
    Als Tannenberg die sich windende weiße Made zwischen den Pinzettenschenkeln entdeckte, schürzte er angewidert die Lippen. »Mensch, tu sofort das eklige Ding weg«, pflaumte er seinen Freund an.
    Zunächst machte Dr. Schönthaler allerdings keinerlei Anstalten, der Forderung nachzukommen. »Sehr wahrscheinlich eine Calliphora«, murmelte er, während er die Larve genauer inspizierte.
    »Eine was?«, ächzte Sabrina.
    »Eine blaue Schmeißfliege«, übersetzte der Rechtsmediziner. Danach pflückte er ein kleines Glasdöschen aus Mertels Arbeitstasche und ließ die Made darin verschwinden.
    Er verschloss den Deckel, legte den Kopf ins Genick und schaute nachdenklich in das dichte Blätterdach über ihm. »Sie ist bereits über einen Zentimeter lang.« Nun fixierte er Sabrina mit einem fordernden Blick. »Und was können wir daraus schließen, Frau Kommissarin?«
    Tannenberg schnaubte verärgert. »Jetzt hör aber mal auf mit diesem blöden Fragespiel. Und lass endlich Sabrina in Ruhe. Du siehst doch, dass es ihr nicht gut geht.«
    »Dann beantworte doch du mir diese wichtige Frage.«
    »Keine Lust.«
    »Alter, sturer Bock!« Erläuternd wandte sich der Pathologe nun an Sabrina. »Also: Wir können daraus schließen, dass die Calliphora schon bald schlüpfen wird. Zur Verpuppung verlässt sie nämlich den Kadaver. Und das wiederum bedeutet, dass seit der Eiablage etwa drei Tage vergangen sein müssen. Ergo: Wenn meine Vermutung zutrifft, dann liegt der gute Mann hier mindestens schon drei Tage im Wald.«
    »Aber wie immer: Genaueres erst nach der Obduktion«, meinte Mertel, der die ganze Zeit über interessiert dem kleinen Vortrag gelauscht hatte.
    »Richtig. Das ist doch schon mal was, nicht wahr? Soll ich euch noch ein bisschen was über die neuesten kriminalbiologischen Forschungsergebnisse erzählen? Ihr glaubt ja gar nicht, wie ausgesprochen hilfreich die lieben kleinen Insekten zur Todeszeit- und Todesortbestimmung sein können.«
    »Danke, kein Bedarf«, versetzte Tannenberg.
    Anschließend nahm er seine Mitarbeiterin an der Hand und verließ gemeinsam mit ihr den Leichenfundort. Sie gingen hinunter zu den beiden Streifenpolizisten. »Kollegen, wer hat denn eigentlich den Toten entdeckt?«, fragte er die uniformierten Beamten.
    »Eine Spaziergängerin. Besser gesagt ihr Hund«, gab sein untersetzter, etwa 50 Jahre alter Kollege zurück.
    »Wann war das?«
    »Um 9 Uhr 45 ist der Anruf ihrer Tochter in der Zentrale eingegangen. Die Mutter war dazu nicht in der Lage. Sie stand unter Schock, war völlig fertig. Als wir zu ihr kamen, ging’s ihr aber schon wieder ein bisschen besser. Ihr Schwiegersohn war bei ihr. Der ist Arzt und
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