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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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Brennnesseln besäumt. Die direkt daran anschließenden, undurchdringlichen Kiefern- und Buchenbestände verschluckten das sanfte Morgenlicht eines wolkenlosen Sommertages.
    Die sogenannte Jammerhalde empfing die Besucher in Gestalt eines düsteren, dicht bewaldeten Nordhanges. Ein Mantel der Trauer schien über diesem sagenumwobenen Ort zu liegen, der jedes Lachen, jeden Anflug von Fröhlichkeit bereits im Keim zu ersticken drohte. Es herrschte eine Atmosphäre wie auf einem Waldfriedhof. Man hörte lediglich ab und an gedämpfte menschliche Stimmen. In der Ferne heulten leise einige Motorsägen auf. Aus Richtung der Stadt konnte man die markanten Triebwerksgeräusche einer Transportmaschine vernehmen, die sich gerade im Landeanflug auf die Ramsteiner Air Base befand.
    Auf der rechten Seite des Forstweges reihten sich in einer Ausbuchtung mehrere Fahrzeuge dicht aneinander. Sabrina parkte unmittelbar dahinter. Tannenberg stieg aus dem Auto und blickte sich kurz um. Ein Gefühl der Beklommenheit übermannte ihn. Andächtig schlenderte er an den Autos vorbei. Nur flüchtig begrüßte er seine uniformierten Kollegen und die beiden Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens.
    Linker Hand tauchte der Gedenkstein auf. Es handelte sich dabei um einen wettergegerbten, mit einem sattgrünen Moosteppich überzogenen Sandsteinfindling. Der verwitterte Stein erinnerte Tannenberg spontan an das Grab seiner Ehefrau Lea, das sich auf dem Kaiserslauterer Waldfriedhof befand und das er oft besuchte.
    Irgendjemand hatte unmittelbar über der Gedenktafel eine weiße Plastiklilie abgelegt.
    Zufall? Oder vielleicht eine Hommage an die unzähligen Toten, die damals diesen Waldboden mit ihrem Blut getränkt haben? Grübelnd ließ er seinen Blick an einer morschen Holzbank vorbeischweben.
    Wie aus dem Nichts tauchte eine Szene aus seiner Kindheit vor seinem geistigen Auge auf. Er sah sich und seinen Bruder beim Pilzsammeln, wie sie an dieser Bank vorbeikamen und Rast machten. Fast immer, wenn sie hier saßen und gierig ihre Brote verschlangen, bettelten sie so lange, bis ihnen der Vater die schaurige Geschichte der Jammerhalde in aller Ausführlichkeit schilderte.
    Die hatte ich doch tatsächlich ganz vergessen, dachte Tannenberg. Aber jetzt ist sie wieder da.
    Jacob hatte diese historische Exkursion nicht selten zum Anlass genommen, um seinen beiden Stammhaltern den aktuellen Stand seiner Ahnenforschungsbemühungen zu präsentieren. Denn die schrecklichen Ereignisse, die vor mehr als 370 Jahren der Jammerhalde ihren Namen verliehen hatten, waren eng mit der Familiengeschichte der Tannenbergs verknüpft.
    Dieses schreckliche Fanal und die damals grassierende Pest hatten die Stadt völlig entvölkert. Daraufhin wurden in halb Europa Neubürger zur Wiederbesiedelung der Barbarossastadt angeworben. Unter anderem auch in Österreich, von wo aus sich ein gewisser Augustinus Tannenberg in die Pfalz aufmachte und 1673 das Bürgerrecht der Stadt Kaiserslautern erhielt.
    Der Leichenfundort war weiträumig abtrassiert. Die in Plastikoveralls gehüllten Mitarbeiter der Spurensicherung gingen geschäftig ihrer Arbeit nach. Karl Mertel, der Leiter der kriminaltechnischen Abteilung, machte sich gerade hinter einem kleinen Felsen zu schaffen.
    Als Tannenberg und seine Begleiter bei ihm eintrafen, erhob er sich und trat einen Schritt zurück. Dadurch gab er den Blick auf den Leichnam frei. Einige Sekunden lang starrten alle schweigend auf den toten Menschen, der da vor ihnen zwischen Farnwedeln und morschem Astwerk lag. Fassungslos lehnte sich Sabrina an den kühlen, verwitterten Felsen. Sie schloss dabei die Augen, während sie heftig nach Atem rang.
    »Wohl deine erste Waldleiche, was?«, fragte der Rechtsmediziner.
    Die junge Kommissarin nickte. Sie war kreidebleich und zitterte.
    Der Kopf des Mannes befand sich etwa fünfunddreißig Zentimeter oberhalb des abgetrennten Korpus. Aufgrund von Tierfraß war vom Gesicht kaum mehr etwas zu erkennen, das linke Ohr fehlte ganz. Der Leichnam war vollständig bekleidet: graumelierter Anzug mit Weste, weißes Hemd, hellblaue Seidenkrawatte, schwarze Socken und Schuhe. Die Hände des Toten waren wie betend ineinanderverschränkt. Allerdings lagen sie nicht in Höhe des Unterbauchs, sondern die überkreuzten Daumen berührten den blutverkrusteten Adamsapfel.
    »Wahnsinn«, murmelte Tannenberg kopfschüttelnd vor sich hin. »Was für ein Wahnsinn.«
    »Wer tut denn so etwas Barbarisches?«, keuchte Sabrina.
    Dr.
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