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Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall

Titel: Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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von seinem Kopf entfernt schlummerte die kleine Emma in einer Wippe. Außer ihrer Windel trug sie lediglich ein fliederfarbenes Mini-T-Shirt. Sie sah aus wie ein schlafender Engel.
    Kurt räkelte sich. Zuerst gab er grunzende Laute von sich, dann sperrte er das Maul auf, gähnte und entblößte dabei ein furchterregendes Raubtiergebiss. Die Tonlage wurde urplötzlich höher, erinnerte an einen hellen Schrei. Emma zuckte zusammen, riss die Augen auf und blickte sich erschrocken um. Doch als sie die gewohnte Umgebung, die bekannten Menschen und den bärigen Leonberger-Mischling zu ihren kleinen Füßchen entdeckte, entspannte sich ihre Mimik sogleich wieder. Sie begann zu brabbeln und strampelte mit den feisten Beinchen.
    Die Miniaturzehen berührten dabei die feuchte Nase des Hundes. Brummend öffnete Kurt die Augen und hob ein wenig den Kopf. Mit einer schnellen Wischbewegung zog er seine raue Zunge über die winzige Fußsohle. Emma quietschte und gluckste vor Vergnügen.
    Betty Tannenberg kam gemeinsam mit ihrer Tochter Marieke, Emmas junger Mutter, durch die Küchentür herein. Über ihrem linken Arm hingen mehrere ungebügelte T-Shirts, die sie auf dem gedeckten Tisch ablegte. Heiner zog verwundert die Stirn in Falten, Jacob dagegen ignorierte den Auftritt seiner Schwiegertochter gänzlich.
    In diesem Augenblick erschienen Dr. Schönthaler und Tannenberg in der elterlichen Parterrewohnung. Sofort erhob sich Kurt, trottete schwanzwedelnd zu seinem Herrchen und rammte ihm zur Begrüßung die Nase in den Oberschenkel.
    Nachdem er sich seine Streicheleinheiten abgeholt hatte, verzog er sich wieder auf sein kühles Plätzchen. Als Emma ihn zurückkehren sah, quiekte sie in Erwartung eines neuen Spieldurchgangs. Die beiden winzigen Händchen schlugen wild umher. Kaum hatte sich der riesige Hund vor ihr abgelegt, schon näherten sich die knubbeligen Speckfüßchen seiner Schnauze – und das Spiel der beiden begann von neuem.
    Derweil überreichte Betty jedem der beiden Männer ein T-Shirt. »Sofort anziehen!«, befahl sie in Kasernenhofton.
    »Warum denn? Ich hab doch schon ein T-Shirt an«, versuchte Heiner Protest einzulegen.
    »Geliebter Ehegatte, frag nicht lange, mach einfach das, was ich dir eben gesagt habe.«
    »Elsbeth hat recht, Bruderherz«, meinte Tannenberg grinsend, während er sein Hemd auszog: »Du sollst deinem Weibe aufs Wort gehorchen – steht, glaub ich jedenfalls, schon in der Bibel.«
    Normalerweise reagierte Betty auf die provokative Nennung ihres eigentlichen Vornamens recht aggressiv, aber diesmal blieb sie ruhig. »Bitte, meine Herren, seid so nett und erfüllt mir diesen Wunsch«, säuselte sie. »Es ist nur ein kleiner Test, sonst nichts.« Anschließend begab sie sich zu ihrer Schwiegermutter, die gerade Karthäuserklöße in der Pfanne wendete und reichte ihr ein besonders großes Exemplar. »Margot, sei du auch so lieb und zieh das T-Shirt kurz drüber.« Sie drehte sich zu Marieke um. »Du bitte auch.«
    Die gutmütige alte Dame tupfte sich mit einem Zipfel ihrer Kittelschürze Schweißperlen von der faltigen Stirn. Lächelnd zwängte sie sich in das T-Shirt. Marieke unterbrach die Liebkosung ihrer Tochter und tat es ihr gleich. Bis auf den Senior der Familie, der weiterhin unbeeindruckt in seiner Bildzeitung schmökerte, befolgten die anderen Männer grummelnd die Anweisung.
    »Jacob, bitte tu mir den Gefallen und zieh das T-Shirt über«, bettelte seine Schwiegertochter. »Du kannst es auch gleich wieder ausziehen. Aber du bist nun mal besonders wichtig für diesen Test.«
    Ohne die Zeitung aus den Händen zu legen, drehte der Senior den Kopf zu Betty hin. Er zog die Augenbrauen hoch und ließ sie dort oben eine Weile verharren. »Mein liebes Mädchen, merk dir mal folgendes: Wir pfälzischen Ureinwohner ziehen aus Prinzip dieses Amizeug nicht an.« Er warf einen demonstrativen Blick auf sein ärmelloses weißes Feinripp-Unterhemd, das den hageren Brustkorb bedeckte. »Außerdem hab ich schon ein Unterhemd an und das reicht wohl! Warum sollte ich denn noch eins anziehen? Bei dieser Hitze. Ja, bin ich denn bekloppt?«
    Während sich Betty kopfschüttelnd von ihm abwandte, erinnerte sich Tannenberg an die Marotte seines Vater, selbst bei solchen Extremtemperaturen, wie sie gerade herrschten, lange Unterhosen zu tragen. Nicht nur beim Heidelbeerpflücken hatte er seine Jungs des Öfteren mit folgender Lebensweisheit beglückt: ›Denkt immer daran: Was gut ist für die Kälte, ist auch
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