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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
Autoren: Ulrich Gast
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benachbarten Wohnung angelockt wurde. Im Jahre 1955 hatten sich meine Großeltern mütterlicherseits zusammen mit den drei Familien ihrer Töchter wegen der großen Wohnungsnot nach dem Kriege zum Neubau eines Vierfami-lienhauses entschlossen, in dem alle ihre Enkelinnen und Enkel quasi wie in einer Großfamilie aufwuchsen. Nicht umsonst spricht noch heute jeder von uns von „Unser Haus“. Anscheinend hätten seinerzeit mit Ausnahme der Genossenschaftsbank die Schwaigemer die Finan-zierung dieses auf dem alten Tresterplatz errichteten, für damalige Verhältnisse ersten, riesigen Wohnhausneubaus in Schwaigern ohne Eigenkapital für unmöglich gehalten. Zur Auszahlung der Handwerker wäre Oma in Schwaigern mit zwei Koffern voll Geld alleine herumgelaufen, da der bargeldlose Zahlungsverkehr für den Ottonor-malverbraucher noch nicht erfunden gewesen war. Welch ein Mut zum Risiko im Gegensatz zu meinem Wagnis der Jakobspilgerschaft? Jedenfalls strahlte Tante Anni übers ganze Gesicht, als sie mich sah. Sie schien sich unter Lachen die Bemerkung nicht verkneifen gekonnt zu haben, dass Leander, der schon seit Jahren von einer langzeitigen Wanderschaft nach Santiago de Compostela träumt, im Gegensatz zu mir vor Stolz strotzend unter vollem Namen im Amts-blättle inseriert hätte.
     
    Es ist wirklich schön, von Herzen Willkommen geheißen zu werden. Wie lange schon träumte ich von einem schwäbischen Rostbraten mit Spätzle und Salat? Nun schien der Augenblick greifbar nahe. Schnell unter die Dusche gehüpft, letztmals in meinen Pilgersonntagsstaat geschlüpft und los ging’s aufs hiesige Kilianfestle auf den Marktplatz. Etwas mulmig war mir schon zu Mute, entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten mit meinem Schlapphut, der genauso wie mein Hemd mit einem Jakobsmuschelemblem versehen war, derart offen meine heile Rückkehr von der Pilgerschaft zu verkünden. „Mir hen uns so für Se g’freut, als mor’s Inserat im Blättle gläsä hen“, waren nur einige der zahlreichen, erfreuten Begrüßungsworte, mit denen ich von all meinen Bekannten beschenkt wurde. Des Öfteren wurde mir die Frage gestellt, ob ich diese Fernwanderung nochmals machen würde, worauf ich nur antworten konnte: „Unzulässige Frage! Ich habe es ja erlebt! Und ich bereue keinen einzigen Tag! Sollte die Frage allerdings lauten, ob ich eine derart lange Jakobspilgerwanderschaft nochmals machen werde, muss ich dieses ehrlich gesagt verneinen.“
    Langsam hatte es den Anschein, als ob meine Jakobspilgerschaft ein kleines gesellschaftliches Ereignis im Orte sein würde. Von vielen wurde ich zu einem öffentlichen Vortrag bittend bis fordernd angehalten. Sicherlich ließ sich die Mehrzahl der Festlenden nicht von dieser mir entgegengebrachten Hochstimmung mitreißen bzw. von ihr verleiten. Gleich, was diese Miesepeter hiervon hielten! Denn auf meiner Pilgerschaft hatte ich mir zwangsläufig eine derart hohe „Leck mich am Arsch-Einstellung“ gegenüber den Meinungen anderer über mich zugelegt, vor der ich zuweilen selbst erschrak. Vielleicht trug dieses zum Gelingen meiner Pilgerschaft mit bei, will man nicht in der Masse durch Paktieren, Taktieren und faule Kompromisse untergehen und sich selbst verfehlen. Was jedoch kein Freibrief dafür sein kann, die erforderliche Hilfsbereitschaft außer Acht zu lassen. So konnte jeder von uns Pilger sich der Hilfeleistung der anderen zumindest solange gewiss sein, bis anderweitige Hilfe eintraf. Erst dann wurde weitermarschiert. Selbst die Menschen am Wege vermittelten einem ständig das wohlige Gefühl, obgleich man alleine dahin zog, dennoch niemals gänzlich einsam und verlassen zu sein. So war z.B. das mir des Öfteren zum Gruße entgegengebrachte Hupen mit Handheben vorbeidonnernder Brummifahrer mental erfrischend und aufmunternd zugleich: Ja nicht aufzugeben! Irgendwie scheint die Fernpilgerei für die spanische Volksseele eine lobenswerte und Aufmerksamkeit verdienende Intuition des menschlichen Herzens, eine ebendeswegen heilige Handlung darzustellen. Der für Pilgersleute neben der fabelhaften, ehrenamtlichen Wandererbetreuung angeblich besondere staatliche Schutz Spaniens dürfte eher dieses Volksempfinden und weniger ein besonders hohes Gefahrenrisiko für Pilger widerspiegeln.
     
    Auch wenn ich auf dem Kilianfestle keinen Rostbraten mit Spätzle und Salat ergattern konnte, wurde mir dennoch klar gemacht, dass ich nunmehr unzweifelhaft heimgekehrt war. Es reicht eben nicht aus, nur nach Hause
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